Agudio

Die Geschichte des traditionsreichen Seilbahnherstellers Agudio reicht bis weit ins 19. Jahrhundert zurück. 1861 gründet Tommaso Agudio das Unternehmen, das sich während der folgenden Jahrzehnte auf die Herstellung von industriellen Transportanlagen konzentriert. Agudio ist damals insbesondere als Konstrukteur von schienengebundenen Bahnen aktiv, stellt während des Ersten Weltkriegs aber auch unzählige Feldseilbahnen für die Gebirgskämpfe her.

Der Einstieg in den Bau grösserer Luftseilbahnen für Personentransporte gelingt ab den 1940er Jahren in Zusammenarbeit mit dem piemontesischen Seilbahnpionier Dino Lora Totino und seinem Unternehmen Funivie d’Italia. Agudio produziert die Teile für die Seilbahnen von Courmayeur in Richtung Punta Helbronner und weiter bis zur Aiguille du Midi. 1957 kann dieses beeindruckende Stück Technik mit fünf Kilometern Länge über den Gletschern des Mont-Blanc-Massivs eröffnet werden und ermöglicht die erste Alpenüberquerung per Seilbahn.

Mit Beginn der 1960er Jahre baut Agudio an seinem neuen Sitz in Mailand die Produktionskapazität deutlich aus und ist fortan in ganz Italien vor allem im Bau von Luftseilbahnen mit Pendelbetrieb gefragt. Auch der Durchbruch auf dem internationalen Markt gelingt kurze Zeit später. Den wohl prestigeträchtigsten Auftrag erhält das Unternehmen 1972 mit dem Neubau der einst von Pohlig erstellten Seilbahnen auf den Zuckerhut in Rio de Janeiro.


Ältere Luftseilbahn von Agudio in Albino.

Ältere Luftseilbahn von Agudio in Albino.

Stützenlose Luftseilbahn von Agudio am Lagazuoi in den Dolomiten.

Ende der 1960er Jahre übernimmt Agudio zudem das wirtschaftlich angeschlagene Traditionsunternehmen Carlevaro e Savio und kann sein Produktportfolio dadurch weiter ausbauen. Der Turiner Spezialist für Einseilumlaufbahnen ermöglicht Agudio auch den Einsatz seines Kuppelsystems für die Bahnen mit ihren charakteristischen eierförmigen Kabinen. Die von Agudio 1972 eröffnete und zwei Sektionen umfassende Anlage am Monte Tamaro im Tessin ist eine der letzten, die mit dieser Technologie entsteht. Im selben Jahr setzt Agudio nämlich bereits auf eine Weiterentwicklung mit einer neuen Klemme, die bei der Kabinenbahn Dantercepies in Gröden erstmals zum Einsatz kommt.


Nach Bauweise Carlevaro e Savio konstruierte Kabinenbahn von Agudio in Rivera.

Nach Bauweise Carlevaro e Savio konstruierte Kabinenbahn von Agudio in Rivera.

Nach Bauweise Carlevaro e Savio konstruierte Kabinenbahn von Agudio in Rivera.

Das Exemplar mit vierplätzigen Kabinen ist mit seinen automatischen Fördereinrichtungen in den Stationen eine deutliche Verbesserung gegenüber der älteren Generation und schliesst damit zum Pionier dieser Technik, der französischen Firma Poma, auf. Genau wie diese erkennt Agudio daraufhin das Potenzial, die eingesetzten Doppelklemmen auch für sechsplätzige Fahrzeuge zu verwenden und die Förderleistung auf diese Weise weiter zu steigern. 1975 erstellt Agudio daraufhin zwei parallele Anlagen mit sechsplätzigen Kabinen in Hong Kong. In Europa stattet der Hersteller das System mit futuristisch anmutenden Kabinen des italienischen Karosseriebauers Pininfarina aus und kann insbesondere in den Alpen Dutzende dieser Anlagen vertreiben. Mit Montaz Mautino und Skirail findet Agudio auch zwei Lizenznehmer in Frankreich.


Typische Agudio-Kabinenbahn in Aprica.

Typische Agudio-Kabinenbahn in Aprica.

Agudio-Doppelklemme für sechsplätzige Kabinen.

Die Kuppeltechnik bleibt auch in den 1980er Jahren eines der Spezialgebiete Agudios. Seinen grössten Erfolg erzielt Agudio in den Jahren 1988 und 1989 mit Kabinenbahn in La Thuile und Arabba. Erstmalig greift der italienische Hersteller auf die DMC-Erfindung des französischen Ingenieurs Denis Creissels zurück. Beide Anlagen werden mit einer neu entwickelten Klemme bestückt, die mit offen liegenden Spiralfedern ausgestattet ist.

Auch grosse Kabinenbahnen mit nur einer Seilschleife zählen während dieser Zeit aber zum Produktportfolio von Agudio. Stehkabinen sind Ende der 1980er Jahre populär, sodass Agudio derartige Bahnen mehrfach in Italien vertreiben kann. 1988 entsteht eine Anlage mit zwölfplätzigen Kabinen in Moena, im Jahr darauf in Marilleva. Neben dem aufstrebenden nationalen Konkurrenten Agamatic ist Agudio damit führender Hersteller auf dem Gebiet der kuppelbaren Einseilumlaufbahnen in Italien.


Agudio-Kabinenbahn mit zwölfplätzigen Stehkabinen in Marilleva.

Agudio-Kabinenbahn mit zwölfplätzigen Stehkabinen in Marilleva.

Eines der beiden von Agudio gebauten DMC ist in Arabba an der Porta Vescovo in Betrieb.

Der Bau fix geklemmter Sesselbahnen rückt in jener Zeit aber ebenfalls mehr und mehr in den Fokus von Agudio. Gemeinsam mit dem Traditionshersteller Graffer übernimmt Agudio Anfang der 1980er Jahre die insolvent gegangene Firma Nascivera in Rovereto. Unter dem Namen Gradio konzentriert sich das Unternehmen daraufhin wie bereits zu Zeiten von Nascivera auf die Konstruktion fix geklemmter Sesselbahnen mit Kapazitäten von bis zu vier Personen pro Sessel.

Kuppelbare Sesselbahnen von Agudio bleiben dagegen eine Randerscheinung. 1988 erstellt das Unternehmen in Pinzolo mit der kuppelbaren Vierersesselbahn Doss del Sabion seine erste und letztlich auch einzige derartige Anlage unter eigenem Namen. Zum Einsatz kommen dabei eine modifizierte monostabile Klemme mit offen liegender Spiralfeder und avantgardistische Kompaktstationen. Eine weitere Anlage kann in Folgarida unter dem Namen Gradio dem Betrieb übergeben werden, die dritte und letzte folgt 1992 in L’Aquila.

Beide letztgenannten Anlagen weisen bereits mehrere Elemente von Poma auf, darunter Stationen und Klemmen. Der französische Seilbahnriese übernimmt Agudio im Jahr 1991 und führt die Geschäftstätigkeit daraufhin zunächst unter dem Namen Poma-Agudio und später als Poma Italia weiter. Das Unternehmen übernimmt weitgehend die Technik von Poma, beendet die Zusammenarbeit mit Graffer im Rahmen von Gradio und tritt fortan vor allem im Bau fix geklemmter Vierersesselbahnen und grosser Luftseilbahnen mit Pendelbetrieb in Erscheinung. Mit dem Zusammenschluss von Poma und Leitner nach der Jahrtausendwende innerhalb der Seeber-Gruppe kehrt das einst auf den Bau industrieller Anlagen spezialisierte Unternehmen wieder zu seinen Wurzeln zurück. Agudio ist heute wieder unter dem historischen Namen aktiv und teilweise nach wie vor bei der Realisierung von Luftseilbahnen und Standseilbahnen involviert.


Talstation einer fix geklemmten Vierersesselbahn von Poma-Agudio mit Station aus der Baureihe Alpha.

Fix geklemmte Vierersesselbahn von Poma-Agudio.

Moderne kurze Pendelbahn von Poma-Agudio in Varallo.


Von Agudio modernisierte historische Standseilbahn in Como.

Patente im Zusammenhang mit Agudio

Agudio 1987 Kabinenbahn IT1183915B
Agudio 1987 Klemme IT1187954B
Agudio 1988 DMC IT1196824B
Agudio 1990 DMC Sicherheitsbremse IT1223971B
Agudio 1990 Klemme IT1217168B

Seilbahnen von Agudio in Deutschland und der Schweiz

OrtNameTyp Optionen
Rivera Rivera-Piano di Mora4-KBK   
Rivera Piano di Mora-Alpe Foppa4-KBK