Bleichert
Adolf Bleichert zählt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu den Wegbereitern des deutschen Seilbahnbaus. Nach anfänglicher Tätigkeit in einer Maschinenfabrik und Eisengiesserei, in deren Rahmen er 1872 bereits eine erste Materialseilbahn entwirft, gründet er zwei Jahre später gemeinsam mit seinem Studienfreund Theodor Otto ein eigenes Ingenieurbüro für Drahtseilbahnen. Durch die fortwährende industrielle Revolution entwickelt sich speziell die Planung und Konstruktion von Seilbahnen für den Transport von Material zum Abbau und zur Aufbereitung von Rohstoffen als immer lukrativeres Geschäftsfeld.
Zu dieser Zeit dominiert das 1867 von Hodgson entwickelte, sogenannte englische System der Drahtseilbahn den Markt. Bei diesem handelt es sich um ein Konzept mit Loren, die in regelmässigen Abständen an einem einzigen umlaufenden Förderseil befestigt werden. Bleichert und Otto wandeln diese Idee dahingehend ab, dass sie neben dem umlaufenden Seil ein zusätzliches Tragseil einsetzen, das zwischen den Stützen längere Spannfelder erlaubt. Sie gelten damit als Begründer des sogenannten deutschen Systems der Drahtseilbahn. 1876 setzen sie ihre Idee bei der ersten industriellen Luftseilbahn Deutschlands zwischen Tiefenbach und Stockhausen im Lahn-Dill-Gebiet erstmals in die Realität um.
Otto verlässt Bleichert nach nur zwei gemeinsamen Jahren und kooperiert fortan mit dem Kölner Ingenieur Julius Pohlig, der daraufhin ebenfalls Anlagen nach dem deutschen System errichtet. Bleichert gründet wenig später eine eigene Fabrik für den Bau von Drahtseilbahnen in Leipzig-Neuschönefeld, die innert kürzester Zeit zum weltgrössten Seilbahnhersteller avanciert. Bis 1890 errichtet das Unternehmen weltweit rund 600 Anlagen, ein Jahrzehnt später dringt die Referenzliste bereits in den vierstelligen Bereich vor. Durch den Lizenznehmer Trenton Iron entstehen auch in den USA unzählige Bahnen nach dem System. Massgeblich für den Erfolg ist die Patentierung einer verbesserten automatischen Kuppelklemme im Jahr 1896, mit der die Loren in den Stationen automatisch vom Förderseil getrennt werden können.
Doch nicht nur die reine Anzahl, sondern auch die Ausmasse vieler Bahnen von Bleichert sind imposant. Oftmals kommen die Materialseilbahnen in grossen Höhen und in unwegsamem Gelände zum Stehen. Aufgrund der immensen Längen von häufig mehreren Dutzenden Kilometern erfolgt in den meisten Fällen eine Aufteilung in mehrere Sektionen. Eine der beeindruckendsten und heute als Denkmal erhaltene Anlage entsteht zwischen 1903 und 1904 im argentinischen Chilecito zur Mine La Mejicana in bis zu 4600 Metern über dem Meer. Die Anlage überwindet in zehn Sektionen und über 34 Kilometern Länge mehr als 3000 Höhenmeter, 262 Stützen und besitzt rund 600 Loren für den Materialtansport. Auch geschlossene Kabinen kommen für den Transport der Minenarbeiter zum Einsatz.
Der Personentransport mit Seilbahnen im Gebirge gewinnt nach der Jahrhundertwende in Europa zunehmend an Bedeutung. Anfänglich sind es noch die aus dem urbanen Bereich stammenden Standseilbahnen, ab 1908 entstehen mit der Kohlernseilbahn in Bozen und dem Wetterhornaufzug in Grindelwald auch die ersten touristisch orientierten Luftseilbahnen. Die Seilbahn in Bozen wird von den Behörden jedoch schon kurz nach ihrer Eröffnung als zu unsicher eingestuft, sodass der Betreiber Bleichert mit einem Neubau beauftragt. 1913 nimmt die neue Bahn den Betrieb auf und gilt mit ihren beiden Kabinen und je zwei Trag-, Zug- und Gegenseilen als erste klassische Pendelbahn der Welt für den Personentransport im Gebirge.
Während des Ersten Weltkriegs konzentriert sich Bleichert auf die Produktion von Feldseilbahnen für militärische Zwecke. Eine Zusammenarbeit mit dem Südtiroler Unternehmer und Ingenieur Luis Zuegg mündet 1924 dann aber erneut in ein erfolgreiches System für den zivilen Personentransport per Seilbahn. Das gemeinsam entwickelte Pendelbahn-System Bleichert-Zuegg mit Tragseil, charakteristisch langen Spannfeldern und einer Fangbremse am Laufwerk der Kabinen entsteht ab 1926 in grosser Stückzahl. Erneut sind beeindruckende Anlagen darunter, wie beispielsweise die Tiroler Zugspitzbahn mit über 3,3 Kilometern Länge.
Die Predigtstuhlbahn in Bad Reichenhall ist in vielen Punkten noch original aus den 1920er Jahren erhalten.
Mit dem Zusammenbruch des deutschen Bankensystems im Rahmen der Weltwirtschaftskrise verschlechtert sich die Auftragslage für Bleichert rapide. 1932 muss das Unternehmen schliesslich Konkurs anmelden, die Geschäftstätigkeit findet in der Auffanggesellschaft Bleichert-Transportanlagen GmbH aber eine Fortführung im Eigentum des bereits seit 1927 beteiligten Grossaktionärs Felten & Guilleaume – Carlswerk AG. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs entstehen daraufhin weitere Pendelbahnen für den Personentransport und Materialseilbahnen. Ab 1934 ist Bleichert auch an der Herstellung der ersten Bügelschlepplifte gemeinsam mit Ernst Constam beteiligt.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs erfolgt in den in Ostdeutschland gelegenen Werken von Bleichert zunächst unter sowjetischer Aufsicht die Produktion von Kränen, Transportanlagen und vereinzelten Seilbahnen. 1954 geht Bleichert schliesslich in das Volkseigentum der DDR über und firmiert fortan unter dem Namen Schwermaschinenbau Verlade- und Transportanlagen Leipzig (VTA). Bis zur Wende konzentriert sich das Unternehmen daraufhin auf den Bau von Kabelkrananlagen und anderer Transporteinrichtungen für den Braunkohleabbau. Vereinzelt entstehen unter dem Namen VTA auf dem Gebiet der DDR aber auch noch einige Seilbahnen, darunter vier Einersesselbahnen, die teils bis heute in Betrieb sind.
Die in Westdeutschland gelegenen und im Eigentum der Felten & Guilleaume – Carlswerk AG verbliebenen Teile von Bleichert finden ab 1946 in der neu gegründeten Bleichert-Transportanlagen GmbH in Köln eine Fortführung. 1962 folgt schliesslich die Fusion mit den ebenfalls im Eigentum von Felten & Guilleaume – Carlswerk befindlichen Unternehmen Heckel und Pohlig zur Pohlig-Heckel-Bleichert Vereinigte Maschinenfabriken AG (PHB).
Patente im Zusammenhang mit Bleichert
Bleichert 1896 Laufwerk GB189612139A
Bleichert 1897 Laufwerk AT23546B
Bleichert 1897 Laufwerk CH13185A
Bleichert 1901 Laufwerk US682267A
Bleichert 1902 Kurve AT13440B
Bleichert 1905 Klemme Standseilbahn AT25909B
Bleichert 1906 Laufwerk CH35621A
Bleichert 1906 Laufwerk FR366718A
Bleichert 1907 Doppel-Laufwerk AT34458B
Bleichert 1907 Plattform AT32843B
Bleichert 1907 Umlaufbahn FR385076A
Bleichert 1908 Klemmdruckvergrösserung AT35946B
Bleichert 1908 Umlaufbahn AT38894B
Bleichert 1909 Klemme AT47175B
Bleichert 1909 Klemme FR410445A
Bleichert 1910 Fangbremse AT49132B
Bleichert 1910 Tragseilbruchsicherung AT51647B
Bleichert 1911 Doppeltragseil CH57433A
Bleichert 1911 Laufwerk US1031328A
Bleichert 1912 Doppel-Laufwerk CH62064A
Bleichert 1912 Kurve AT56420B
Bleichert 1913 Doppeltragseil-Laufwerk AT68203B
Bleichert 1913 Doppeltragseil-Laufwerk AT74434B
Bleichert 1913 Doppeltragseil-Laufwerk CH67193A
Bleichert 1913 Personenschwebebahn AT64198B
Bleichert 1924 Laufwerk CH111489A
Bleichert 1928 Kabine CH138173A
Bleichert 1928 Kabine CH140562A
Bleichert 1930 Antrieb DE528329C
Bleichert 1931 Doppelzugseil DE528373C
Bleichert 1931 Fahrbarer Antrieb DE538091C
Bleichert 1933 Stationspuffer AT134681B
Bleichert 1934 Entgleiseschutz Tragseil DE600357C
Bleichert 1934 Vergusskopf AT137367B
Bleichert 1936 Antrieb DE630022C
Bleichert 1936 Schleppgehänge CH189291A
Seilbahnen von Bleichert in Deutschland und der Schweiz
Ort | Name | Typ | Betriebsdauer | Hersteller | Optionen | |||
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Greifswald (Riems) | Kalkvitz-Riems 1 | 2-LPB | 1926 - 1972 | Bleichert | ||||
Garmisch-Partenkirchen (Hausberg-Alpspitze) | Garmisch-Partenkirchen-Kreuzeck | 27-LPB | 1926 - 2002 | Bleichert | ||||
Bad Reichenhall (Predigtstuhl) | Bad Reichenhall-Predigtstuhl | 25-LPB | 1928 - Heute | Bleichert | ||||
Engelberg (Titlis) | Gerschnialp-Trübsee | 33-LPB | 1928 - 1984 | Bleichert | ||||
Leimbach | Leimbach-Mädikon | 4-LPB | 1928 - Heute | Bleichert | ||||
Bad Harzburg (Burgberg) | Bad Harzburg-Burgberg | 18-LPB | 1929 - Heute | Bleichert | ||||
Garmisch-Partenkirchen (Wank) | Garmisch-Partenkirchen-Wank | 25-LPB | 1929 - 1982 | Bleichert | ||||
Garmisch-Partenkirchen (Zugspitze) | Schneefernerhaus-Zugspitze | 25-LPB | 1931 - 1992 | Bleichert | ||||
Säntis | Schwägalp-Säntis | 45-LPB | 1935 - 1974 | Bleichert | ||||
Greifswald (Riems) | Kalkvitz-Riems 2 | 15-LPB | 1942 - 1972 | Bleichert | ||||
Luchsingen | Luchsingen-Brunnenberg | 6-LPB | 1948 - 2012 | Bleichert |
Seilbahnen von VTA Leipzig in Deutschland und der Schweiz
Ort | Name | Typ | Betriebsdauer | Hersteller | Optionen | |||
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Bärenstein | Bärenstein | 2-SLE | ???? - Heute | VTA Leipzig | ||||
Klingenthal | Aschbergschanze | 1-SBF | 1961 - 2006 | VTA Leipzig | ||||
Oberhof | Kanzlersgrund | 1-SBF | 1962 - 2015 | VTA Leipzig | ||||
Oberwiesenthal (Fichtelberg) | Schönjungferngrund | 1-SBF | 1963 - 2016 | VTA Leipzig | ||||
Oberwiesenthal (Fichtelberg) | Viehtrift | 1-SBF | 1963 - 2017 | VTA Leipzig | ||||
Oberwiesenthal (Fichtelberg) | Hüttenbach | 2-SLE | 1968 - 1998 | VTA Leipzig | ||||
Oberwiesenthal (Fichtelberg) | Kleiner Fichtelberg | 2-SLE | 1970 - 1994 | VTA Leipzig |