Ceretti e Tanfani

Das Industrieunternehmen Ceretti e Tanfani wird 1894 von Giulio Ceretti und Vincenzo Tanfani in Mailand gegründet. Noch im selben Jahr konstruieren Ceretti e Tanfani eine Seilbahn für die ebenfalls in Mailand stattfindende Weltausstellung. Es ist eine kurze, horizontal über das Ausstellungsgelände verkehrende Luftseilbahn mit Pendelbetrieb und nach der im Jahr zuvor eröffneten Schwebebahn Devils Dyke bei Brighton in England erst die zweite überhaupt für den Personentransport. Auch wenn die Anlage nur während der Ausstellung in Betrieb ist und danach wieder rückgebaut wird, ist die Idee ein Erfolg. Ceretti e Tanfani können vier Jahre später bei Ausstellungen in Wien und Turin das gleiche System erneut errichten. Das Unternehmen ist – abgesehen vom Konstrukteur der erwähnten Anlage in England – das einzige, das noch vor der Jahrhundertwende Luftseilbahnen nach heutigem Verständnis für Personentransporte dem Betrieb übergeben kann.

Und so ist es wenig erstaunlich, dass Ceretti e Tanfani zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit ihrer Technologie auch prädestiniert sind, Seilbahnen im Gebirge zu errichten. Zu diesem Zeitpunkt hat das aufstrebende Unternehmen bereits zahlreiche Erfahrungen im Bau kuppelbarer Materialseilbahnen mit Umlaufbetrieb nach dem deutschen System sammeln können, für Personentransporte setzt man aber weiterhin auf das Pendelprinzip.

Während in Grindelwald der Wetterhornaufzug und in Bozen die erste Kohlernseilbahn 1908 den Betrieb aufnehmen, sind Ceretti e Tanfani in Chamonix mit einem ambitionierten Projekt beschäftigt. Schon damals soll die 3800 Meter hohe Aiguille du Midi mit einer Seilbahn erschlossen werden. Erneut soll dabei eine Pendelbahn in mehreren Sektionen den Transport der Fahrgäste übernehmen. Anders als die Konstrukteure Von Roll und Bleichert sehen Ceretti e Tanfani bei ihrem Konzept statt einer Fangbremse ein zusätzliches Bremsseil vor, das im Falle eines Zugseilrisses für zusätzliche Sicherheit sorgen soll. Eine Idee, die Jahrzehnte später vor allem in Frankreich mit redundanten Zugseilen Verbreitung finden soll. Schwierigkeiten beim Bau und der Erste Weltkrieg begraben die Ambitionen an der Aiguille du Midi jedoch. Erst 1924 kann die erste Sektion schliesslich mit starken Modifikationen gegenüber den ursprünglichen Plänen eröffnet werden, die zweite drei Jahre später. Den Gipfel erreicht das Projekt jedoch nicht. Dennoch ist Frankreichs erste Luftseilbahn ein Meilenstein, auch für Ceretti e Tanfani.


Ruine der Téléphérique des Glaciers in Chamonix von Ceretti e Tanfani aus den 1920er Jahren.

Ruine der Téléphérique des Glaciers in Chamonix von Ceretti e Tanfani aus den 1920er Jahren.

Ruine der Téléphérique des Glaciers in Chamonix von Ceretti e Tanfani aus den 1920er Jahren.

Ein zweites Projekt kann aber sogar noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs vollendet werden. 1912 nimmt eine nach dem gleichen Prinzip wie in Chamonix erstellte Anlage von Lana auf das Vigiljoch den Betrieb auf. Es ist nach der nahegelegenen Kohlernseilbahn die zweite solche Anlage in Südtirol und mit über zwei Kilometern Gesamtlänge und über 1100 Metern Höhendifferenz ein technisches Denkmal. Die Möglichkeiten zur Abspannung von Drahtseilen sind damals noch wenig erforscht, sodass Ceretti e Tanfani auf der Strecke nicht weniger als 39 Zwischenstützen erstellen müssen, damit die Seildurchhänge nicht zu gross ausfallen. Erst mit den Berechnungen von Luis Zuegg gelingt die Realisierung deutlich grösserer Spannfelder.

Zuegg ist es mit seinem Kooperationspartner Bleichert auch, der den Markt der Luftseilbahnen für Personentransporte in der Zwischenkriegszeit dominiert. Ceretti e Tanfani können aber unter anderem in Cortina d’Ampezzo, Pinerolo, La Clavière, Neapel und am Gran Sasso ebenfalls einige beeindruckende Anlagen realisieren. 1927 kommt es gar zum Bau einer Anlage in Japan, die dort von Kioto auf den Mount Eizan führt. Auch Standseilbahnen finden sich zu jener Zeit immer häufiger im Portfolio des Mailänder Unternehmens, darunter in Neapel, Rom und in Santiago de Chile.

Die Erstellung industrieller Anlagen für Materialtransporte bleibt aber ein weiterer wichtiger Geschäftszweig. Kräne zählen zu den erfolgreichsten Produkten von Ceretti e Tanfani, Materialseilbahnen – sei es für militärische Zwecke während des Zweiten Weltkriegs oder für den Rohstofftransport – erstellt das Unternehmen jedoch ebenfalls weltweit. In den 1950er Jahren können Ceretti e Tanfani auch Bauseilbahnen für die Errichtung der zahlreichen Wasserkraftwerke und ihrer Stauseen liefern, darunter beispielsweise zwei parallele Anlagen am Lac de Salanfe im Wallis.

Der aufstrebende Wintersport bietet Ceretti e Tanfani nach dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche weitere Absatzmöglichkeiten. Pendelbahnen liefert das Unternehmen nach ganz Italien, häufig aber auch nach Südosteuropa. Daneben versucht man sich aber auch im Bau kuppelbarer Einseilumlaufbahnen, die durch Carlevaro e Savio in Italien ab den 1950er Jahren einen regen Aufschwung erleben. Ceretti e Tanfani greifen dazu auf das etablierte System des Schweizer Herstellers Giovanola zurück und erstellen daraufhin Anlagen mit Schwerkraftklemmen. An den mit den Pendelbahnen erzielten Erfolg können die kuppelbaren Bahnen allerdings nicht anknüpfen. Schon zu Beginn der 1970er Jahre lassen Ceretti e Tanfani die Produktion dieser Anlagen auslaufen.


Typische Luftseilbahn mit Pendelbetrieb von Ceretti e Tanfani in Macugnaga.

Typische Luftseilbahn mit Pendelbetrieb von Ceretti e Tanfani in Macugnaga.

Typische Luftseilbahn mit Pendelbetrieb von Ceretti e Tanfani in Macugnaga.


Antrieb einer stillgelegten Luftseilbahn von Ceretti e Tanfani in Alagna-Valsesia.

Kabine einer ehemaligen kuppelbaren Einseilumlaufbahn von Ceretti e Tanfani mit Giovanola-Klemmen in Peio.

Auch das restliche Geschäft mit den Seilbahnen gerät Mitte der 1970er Jahre ins Stocken. Trotz des Einstiegs in den Bau von Schleppliften und fix geklemmten Sesselbahnen kann sich das Unternehmen in diesen Bereichen neben der starken Konkurrenz nicht etablieren. Abgesehen von wenigen Umbauten bei Standseilbahnen ziehen sich Ceretti e Tanfani ab den 1980er Jahren daher weitgehend aus dem Seilbahnbau zurück.


Fix geklemmte Zweiersesselbahn von Ceretti e Tanfani in Malga Ciapela.

Fix geklemmte Zweiersesselbahn von Ceretti e Tanfani in Malga Ciapela.