Funivie d'Italia

Dino Lora Totino zählt ab den 1930er Jahren zu den frühen Seilbahnpionieren Italiens. Inspiriert von den immer zahlreicheren Luftseilbahnen für den Personentransport in ganz Europa befasst sich der junge Ingenieur aus dem Piemont bereits Ende der 1920er Jahre mit Plänen, die Berge seiner Heimat ebenfalls mit Seilbahnen zu erschliessen. Ein Jahrzehnt später ist es in Breuil-Cervinia so weit. Am Fusse des Matterhorns gelingt es Lora Totino, mehrere Sektionen einer Pendelbahn bis zum 3500 Meter hoch gelegenen Plateau Rosa auf der schweizerisch-italienischen Grenze zu erstellen. Das Projekt ist ausgesprochen ambitioniert, kann aber dennoch nach kurzer Bauzeit Anfang 1939 vollendet werden und bringt die Gäste in eine bis dato unerreichte Höhenlage direkt an den Gletscherrand.

Nie zuvor ist es gelungen, Menschen das Hochgebirge auf so einfache Art und Weise zugänglich zu machen. Und so sprechen sich die Fähigkeiten des Ingenieurs schnell herum. Der beginnende Zweite Weltkrieg durchkreuzt aber jegliche Pläne für den Bau weiterer touristischer Seilbahnen im Piemont. Doch der Konstrukteur ist auch beim Militär ein gefragter Mann. So kann Lora Totino – nun mit seinem 1940 gegründeten, eigenen Unternehmen Funivie d’Italia und in Zusammenarbeit mit Agudio – in Courmayeur im Aostatal ein weiteres beeindruckendes Projekt realisieren. Der Bau einer Seilbahn zum Rifugio Torino an der Punta Helbronner ist Teil eines gross angelegten Plans des faschistischen Italiens unter Benito Mussolini, die Berge des Aostatals für militärische Truppen leichter zugänglich zu machen und weiter nach Westen vorzustossen. Die neue Seilbahn soll aber auch der Verteidigung dienen, da die Gletscher des Mont-Blanc-Massivs zu diesem Zeitpunkt über die Pendelbahn unterhalb der Aiguille du Midi auf französischer Seite bereits sehr einfach erreichbar sind. 1942 kann die erste Teilstrecke von La Palud bei Courmayeur zum Pavillon du Mont-Fréty nach zwei Jahren Bauzeit eröffnet werden.

Zu einer Vollendung der restlichen Sektionen kommt es allerdings nicht mehr, und auch die erste Sektion wird in den letzten Kriegstagen teilweise zerstört. Daraufhin treibt Lora Totino eine Nutzung der Seilbahn für zivile Zwecke voran. 1947 wird nicht nur die erste Sektion wiedereröffnet, sondern auch eine zweite, stützenlose Teilstrecke mit einem über 2,4 Kilometer langen Spannfeld kann dem Betrieb übergeben werden. Die Bergstation kommt etwas unterhalb des wenige Jahre zuvor noch hart umkämpften Rifugios in 3335 Metern über dem Meer zum Stehen.


Dritte Sektion der Seilbahn von Courmayeur zur Punta Helbronner aus der Zusammenarbeit mit Agudio.

Schon zu dieser Zeit hat Lora Totino aber noch viel grössere Pläne. Bereits seit den ersten Anlagen in Breuil-Cervinia denkt er über eine Alpenüberquerung per Seilbahn nach. 1953 werden die Pläne insoweit konkreter, als dass Funivie d’Italia mit der Furggen-Seilbahn in Breuil-Cervinia nicht nur erneut eine Bergstationshöhe von 3500 Metern über dem Meer erreicht, sondern auch direkten Kurs auf Zermatt und das Matterhorn nimmt. Auf Schweizer Seite ist man den Ideen nicht wohlgesonnen, sodass nicht nur die Pläne für eine Seilbahn in Richtung Matterhorn begraben werden, sondern auch die Verbindung ins Tal nach Zermatt.

In Courmayeur wird die Verbindung dagegen vier Jahre später tatsächlich Realität. Bereits 1955 erreichen die Franzosen von Chamonix aus im zweiten Anlauf den Gipfel der Aiguille du Midi in rund 3800 Metern über dem Meer. Funivie d’Italia realisiert daraufhin eine Seilbahn, die das Rifugio Torino an der Punta Helbronner mit der Aiguille du Midi verbindet. Ein Jahrhundertprojekt, denn die beiden Punkte liegen fünf Kilometer voneinander entfernt und der Weg dazwischen führt nahezu ausschliesslich über Gletschereis. So wird 1957 die in vielen Punkten bis heute spektakulärste Seilbahn überhaupt eröffnet. Die Zweiseilumlaufbahn führt mit mehreren kilometerlangen Spannfeldern ohne Stützen über die Gletscher. Um die Seile in der Luft zu halten, konstruiert Funivie d’Italia eine fliegende Stütze, die ihrerseits mit mehreren Halteseilen an zwei naheliegenden Berggipfeln befestigt ist. Unterhalb der Aiguille du Midi befahren die Kabinen auf einem Felsvorsprung einen Tunnel inklusive einer Kurve.


Kabinenbahn Vallée Blanche zwischen der Aiguille du Midi in Frankreich und der Punta Helbronner in Italien.

Kabinenbahn Vallée Blanche zwischen der Aiguille du Midi in Frankreich und der Punta Helbronner in Italien.

Kabinenbahn Vallée Blanche zwischen der Aiguille du Midi in Frankreich und der Punta Helbronner in Italien.

Neben dieser beeindruckenden Anlage erstellt Funivie d’Italia zur gleichen Zeit weitere Seilbahnen, darunter am Ätna, in Trapani, Avellino und erneut in Courmayeur auf der gegenüberliegenden Talseite zum Col Checrouit. Zu Beginn der 1960er Jahre widmet sich Lora Totino anderen Interessengebieten, woraufhin sich auch das Unternehmen Funivie d’Italia aus dem Seilbahnbau zurückzieht.