Giovanola
Die Geschichte des namhaften Walliser Seilbahnherstellers Giovanola geht bis ins 19. Jahrhundert zurück. 1888 gründet der aus dem Piemont stammende Joseph Giovanola nahe Monthey im Unterwallis eine Schlosserei, die nach seinem Tod von seinen Söhnen übernommen und zu einer Kesselschmiede ausgebaut wird. Während Jahrzehnten ist Giovanola daraufhin in der Konstruktion und im Bau von Brückenbauwerken tätig.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erweitert Giovanola seine Geschäftstätigkeit und steigt in den Bau von Seilbahnen ein. Der Erfolg des Berner Seilbahnpioniers Von Roll mit seinem VR101-System für kuppelbare Seitwärtssesselbahnen bleibt auch in der Romandie und in Frankreich nicht lange unentdeckt. 1948 patentiert die Savoyer Société des Brevets Français d’Équipement Touristique eine Klemme für Einseilumlaufbahnen, die in ihrer Form optisch stark an die VR101 angelehnt ist. Anders als bei der etablierten Von-Roll-Klemme wird die Kraft jedoch durch zwei Hebel aufgebracht, die sich die Hangabtriebskraft des Fahrzeugs zum Aufbringen der Klemmkraft zunutze machen. Je grösser die Neigung des Förderseils ausfällt, desto stärker ziehen sich die Klemmbacken an selbigem automatisch fest, ohne dass es einer zusätzlichen externen Betätigung bedarf.
Giovanola erwirbt kurz darauf eine Lizenz für die Klemme und kann in Kooperation mit dem im Bau von Materialseilbahnen etablierten britischen Unternehmen Breco in Thollon-les-Mémises am Genfer See 1949 den Bau einer Anlage aufnehmen. Bereits bei den ersten Versuchsfahrten treten aber gravierende Probleme auf. Weil die Klemme bauartbedingt erst ausserhalb der Stationen die Klemmkraft bei einer Neigung des Förderseils aufbringt, kann weder der Kuppelvorgang überwacht werden noch besitzt die Klemme irgendwelche Sicherheitseinrichtungen für den Fall einer Fehlkupplung. Das System entpuppt sich als viel zu unzuverlässig, sodass die Anlage in Thollon-les-Mémises vorerst nicht eröffnet werden kann.
Giovanola entwickelt daraufhin innert kürzester Zeit eine abgewandelte Klemme, die die Seilbahnwelt revolutioniert. Die Idee dabei ist erneut angelehnt an die VR101, bringt aber anders als diese die Klemmkraft ausschliesslich durch das Eigengewicht des Fahrzeugs auf. Damit lassen sich die Fahrbetriebsmittel unabhängig von der Seilneigung sicher befestigen, und trotzdem kann die Gesamtkonstruktion denkbar simpel und wartungsfreundlich ausfallen. Eine Sicherung auf der Aussenseite garantiert darüber hinaus, dass sich die Klemme während der Fahrt nicht unbeabsichtigt öffnet. 1950 kann die erste Anlage mit diesen Klemmen von Verbier nach Les Ruinettes den Betrieb aufnehmen. Und auch die unvollendete Bahn in Thollon-les-Mémises wird kurz darauf mit den neuen Giovanola-Klemmen ausgestattet.
Schnell finden sich andere Abnehmer für die kleinen und vergleichsweise kostengünstigen Einseilumlaufbahnen, sodass Giovanola in der Schweiz innert weniger Jahre zu den bedeutendsten Seilbahnherstellern zählt. Auch im angrenzenden Ausland bleibt das System jedoch nicht unentdeckt, und so sichert sich noch in den 1950er Jahren die renommierte deutsche Firma Pohlig eine Lizenz zum Einsatz der Klemmen. Zu diesem Zeitpunkt ist Giovanola bereits mit einer Weiterentwicklung des Systems beschäftigt und setzt ab 1959 eine Doppelklemme für vierplätzige Kabinen ein. Bis zum Beginn der 1970er Jahre entstehen daraufhin mehr als 30 solcher Anlagen allein in der Schweiz. Neben Pohlig und den Nachfolgern PHB und PWH erlangen in dieser Zeit zahlreiche weitere Hersteller wie Städeli, Habegger, Skirail, Transtélé, Sacif und Ceretti e Tanfani Lizenzen für die Klemmen. Eine Kooperation zwischen PHB und dem US-amerikanischen Hersteller Hall sorgt dafür, dass die Giovanola-Klemmen sogar jenseits des Atlantiks Verbreitung finden. Eine erneute Weiterentwicklung der Klemme durch die Lizenznehmer ermöglicht in den 1980er Jahren sogar einen Einsatz bei sechsplätzigen Kabinen. Bis Mitte des Jahrzehnts kommen Giovanola-Klemmen bei Neuanlagen noch zum Einsatz, womit das System fast vier Jahrzehnte überdauert und damit zu den bedeutendsten Entwicklungen der Seilbahngeschichte zählt.
Auch wenn Giovanola damit vor allem für seine kuppelbaren Kabinenbahnen berühmt ist, erstellt das Unternehmen lange Jahre auch andere Seilbahntypen. Verbreitung finden in der Westschweiz überwiegend kuppelbare Stangenschlepplifte nach dem System Poma, die Giovanola in mehreren Punkten gegenüber dem Original verändert. Optisch zweifellos am auffälligsten sind die Talstationen, bei denen der Durchmesser der Umlenkscheibe der Seilspur entspricht und damit deutlich grösser ausfällt als bei Poma. Ein weiteres Erkennungsmerkmal sind die wesentlich massiveren Stützen, bei denen jede Rolle an einem eigenen Joch aufgehängt ist. Insbesondere in Verbier und den angrenzenden Quatre Vallées erstellt Giovanola darüber hinaus ab den 1950er Jahren auch mehrere fix geklemmte Zweiersesselbahnen. Mitte der 1970er Jahre zieht sich das Unternehmen aus dem Seilbahnbau zurück und konzentriert sich fortan auf den Bau von Anlagen in Vergnügungsparks. 2004 muss Giovanola Konkurs anmelden. Das Erbe im Seilbahnbau lebt jedoch auch heute noch weiter.
Patente im Zusammenhang mit Giovanola
Société des Brevets Français d’Équipement Touristique 1948 Klemme FR1010699A
Giovanola 1951 Klemme CH286312A