Wiesner & Transporta

Der deutsch-böhmische Ingenieur František Wiesner begründet ab den 1920er Jahren die Verbreitung der Seilbahn sowohl für Material- als auch Personentransporte in der damaligen Tschechoslowakei. Bereits 1923 gelingt es Wiesner, in Oberschlesien eine 23 Kilometer lange Materialseilbahn für den Kohletransport zu eröffnen.

Mit der Seilbahn auf den Černá hora bei Janské Lázně errichtet Wiesner daraufhin 1928 die erste Luftseilbahn für den Personentransport in der Tschechoslowakei. Die Anlage weist bereits sämtliche Elemente einer modernen Luftseilbahn auf, basiert aber nicht auf dem seinerzeit allgegenwärtigen System Bleichert-Zuegg. Wiesner greift in Lizenz auf ein Patent des Leipziger Konstrukteurs Curt Rudolph zurück. Rudolph ist ein Pionier der Materialseilbahntechnik und entwickelt unter anderem ein System für eine Prüfeinrichtung des Kuppelvorgangs bei Materialseilbahnen und eine Dosierungsmöglichkeit für die Loren. Seine Idee für eine Personenschwebebahn basiert auf dem Prinzip eines doppelten und damit redundant ausgeführten Zugseils, das für zusätzliche Sicherheit sorgen soll. Teil der Entwicklung ist auch eine Einrichtung zur automatischen Stillsetzung des Antriebs im Falle eines Zugseilrisses.

Die über drei Kilometer lange Anlage von Janské Lázně ist ein Meilenstein der Seilbahngeschichte in Osteuropa. Fünf Jahre später erstellt Wiesner ein zweites, nicht ganz so langes Exemplar am Ještěd bei Liberec. Die mit Abstand beeindruckendste Seilbahn nimmt dagegen 1937 in der Hohen Tatra den Betrieb auf. Bei einer Länge von über vier Kilometern und mehr als 850 Metern Höhendifferenz stattet Wiesner die Seilbahn von Tatranská Lomnica nach Skalnaté pleso mit einer Zwischenstation in der Mitte der Strecke aus, wo die Fahrgäste zur jeweils nächsten Kabine umsteigen müssen.


Luftseilbahn mit Pendelbetrieb von Wiesner in Tatranská Lomnica.

Kabine der Luftseilbahn in Tatranská Lomnica.

Laufwerk von Wiesner mit zwei Zugseilen und Fangbremse.


Luftseilbahn mit Pendelbetrieb von Wiesner in Tatranská Lomnica.

Luftseilbahn mit Pendelbetrieb von Wiesner in Tatranská Lomnica.

Luftseilbahn mit Pendelbetrieb von Wiesner in Tatranská Lomnica.

Noch im selben Jahr beginnen daraufhin die Arbeiten für eine weitere Sektion, die bis auf den Gipfel der 2634 Meter hohen Lomnický štít führen soll. Mit nur einer einzigen Stütze wenig unterhalb der Bergstation kommt Wiesner bei der Bahn aus, die nur eine einzelne Kabine besitzt. 1940 können die ersten Fahrgäste auf den schroffen Gipfel befördert werden.

Noch im selben Jahr widmet sich Wiesner trotz des fortwährenden Zweiten Weltkriegs einem weiteren Pionierprojekt im Seilbahnbau. Im Januar des gleichen Jahres beginnen in Frenštát pod Radhoštěm in den tschechischen Beskiden die Bauarbeiten für eine Einersesselbahn. Bereits zwei Monate später kann die Anlage dem Betrieb übergeben werden. Wiesner ist damit der erste, der das kurz zuvor in den USA entwickelte Prinzip der Sesselbahn in Europa in die Realität umsetzt. Erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs ziehen die Konstrukteure in den anderen Ländern nach, Wiesner kann seinerseits 1947 noch eine weitere Anlage in Špindlerův Mlýn erstellen.

Mit der Verstaatlichung von Wiesners Unternehmen in der sozialistischen ČSSR operiert die in Chrudim ansässige Firma fortan unter dem Namen Transporta. Der Seilbahnbau bleibt eine der zentralen Aufgaben und so erwirbt Transporta Ende der 1940er Jahre eine Lizenz des Schweizer Herstellers Von Roll für den Einsatz von dessen VR101-System mit Seitwärtssesseln. Die charakteristischen Anlagen entstehen daraufhin in der ganzen Tschechoslowakei, darunter an der Schneekoppe im Riesengebirge, am Chopok in der Niederen Tatra oder in Krupka im Erzgebirge. Letztere Anlage ist heute die letzte erhaltene VR101-Seitwärtssesselbahn der Welt.


Lizenzbau einer VR101-Seitwärtssesselbahn von Transporta Chrudim in Pec pod Sněžkou.

Lizenzbau einer VR101-Seitwärtssesselbahn von Transporta Chrudim in Pec pod Sněžkou.

Lizenzbau einer VR101-Seitwärtssesselbahn von Transporta Chrudim in Pec pod Sněžkou.


Lizenzbau einer VR101-Seitwärtssesselbahn von Transporta Chrudim in Jasná.

Lizenzbau einer VR101-Seitwärtssesselbahn von Transporta Chrudim in Jasná.

Lizenzbau einer VR101-Seitwärtssesselbahn von Transporta Chrudim in Jasná.

Transporta führt parallel dazu das Geschäft mit Einersesselbahnen und Schleppliften fort. Derartige Anlagen entstehen daraufhin in ganz Osteuropa und damit auch auf dem Gebiet der DDR. 1959 tritt das Unternehmen mit einem weiteren System in Erscheinung, als der Prototyp einer Zweiseilumlaufbahn von Sarajevo auf den Trebevič dem Betrieb übergeben werden kann. Die Anlage bleibt lange Jahre ein Einzelstück und erhält erst 1967 im slowakischen Ružomberok eine Schwester, die sich ebenfalls an den Ideen des Zweiseilumlaufbahn-Pioniers Georg Wallmannsberger orientiert. 1970 und 1973 folgen weitere Exemplare in Thale im Harz und in Tatranská Lomnica als Entlastung für die von Wiesner errichtete Pendelbahn. Die letzte folgt schliesslich 1980 am Černá hora als Ersatz für die 1928 in Betrieb genommene Anlage desselben Fabrikats.


Typischer Schlepplift von Transporta Chrudim in Loučná pod Klínovcem.

Typischer Schlepplift von Transporta Chrudim in Loučná pod Klínovcem.

Typischer Schlepplift von Transporta Chrudim in Loučná pod Klínovcem.


Fix geklemmte Einersesselbahn von Transporta Chrudim in Jáchymov.

Fix geklemmte Einersesselbahn von Transporta Chrudim in Jáchymov.

Fix geklemmte Einersesselbahn von Transporta Chrudim in Jáchymov.

Inspiriert von den immer zahlreicheren kuppelbaren Sesselbahnen in den Alpen lässt Transporta das System 1978 auch in der Tschechoslowakei wieder aufleben. Mehr als zwei Jahrzehnte nach den VR101-Lizenzbauten erstellt das Unternehmen mit der Zweiersesselbahn Medvědín in Špindlerův Mlýn einen Prototyp. Anders als bei den VR101 sitzen die Fahrgäste in Fahrtrichtung. Transporta übernimmt aber zahlreiche Ideen aus den 1950er Jahren, darunter die schrägen Ebenen zum Verzögern und Beschleunigen der Sessel in den Stationen. Auch die Klemme ist mit ihrem vierrolligen Laufwerk an die VR101 angelehnt, im Funktionsprinzip aber verändert. Wie bei der VR101 benötigt sie zusätzliche Schienen zum Befahren von Niederhalterollenbatterien, greift auf das Prinzip interessanterweise aber auch bei tragenden Rollen zurück.

Der Prototyp soll allerdings ein Einzelstück bleiben, denn zu Beginn der 1980er Jahre zieht sich Transporta aus dem Seilbahnbau zurück. Das Unternehmen konzentriert sich daraufhin auf den Bau von Aufzügen und anderer Transporteinrichtungen, gerät nach der Wende aber zunehmend in wirtschaftliche Schwierigkeiten und muss 1999 schliesslich Insolvenz anmelden.