Samnaun ohne Ischgl – Die Silvretta Arena im Ausnahmezustand

Winterberichte aus dem Kanton Graubünden.
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Felix
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Samnaun ohne Ischgl – Die Silvretta Arena im Ausnahmezustand

Beitrag von Felix »

Ich melde mich mal wieder aus der Sommerpause zurück ;-)

Skifahren in der Silvretta Arena. Am Ballermann der Alpen. Dass es mich einmal hierhin verschlagen würde, bevor ich sämtliche andere Skigebiete der Welt besucht habe, hatte ich eigentlich immer als äusserst unwahrscheinlich angesehen. Als Freund des wilden, ursprünglichen, abenteuerlichen Skifahrens abseits von Hochleistungsseilbahn, Fangzaun und Pistenautobahn ist mir der massentaugliche Vollkasko-Hochgebirgsspielplatz in Ischgl und Samnaun eigentlich so fremd wie kaum ein anderes Skigebiet. Doch dass sich die Rahmenbedingungen des Reisens insgesamt mit einem Mal so grundlegend ändern würden, damit hätte ich vor einigen Jahren auch nicht gerechnet.

Beginn einer neuen Zeitrechnung

Die Geschichte meines Besuchs in der Silvretta Arena beginnt ziemlich genau ein Jahr vor dem letztlichen Aufbruch. Am 13. März 2020 nehme ich nach einem langen Skitag die letzte Fahrt der Urdenbahn von Arosa zurück zur Lenzerheide. Dass es sowohl für die Bahn als auch für mich nicht nur die letzte des Tages, sondern der ganzen Saison sein wird, weiss ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Da der Schweizer Bundesrat für den Nachmittag eine Pressekonferenz angekündigt hat, werfe ich einen Blick aufs Smartphone, um mich über die neueste Entwicklung in Sachen Coronavirus zu informieren. Noch spricht man nicht von einer Pandemie, aber dass hier etwas Grosses im Anmarsch ist, ist bereits zu spüren. Und das hat auch Auswirkungen auf die Skigebiete in den Alpen. Im besonders betroffenen Italien sind sämtliche Skigebiete seit einigen Tagen geschlossen, in Österreich steht die Schliessung unmittelbar bevor.

Währenddessen höre ich übers Radio in der Kabine, dass auch der Kanton Graubünden ein Ende der Skisaison ab dem darauffolgenden Montag verfügt. Der Bundesrat kündigt in seiner Pressekonferenz dagegen kurz darauf schweizweit die sofortige Schliessung an. Im Verlauf des Abends entsteht ein völliges Informationschaos darüber, welche Regelung denn nun Vorrang hat. Auch bei den Bergbahnen herrscht Unklarheit. Noch bis am späten Abend werden die Pisten wie geplant für den nächsten Tag präpariert. Der Kanton Graubünden korrigiert seine Angabe kurz vor Mitternacht und ordnet eine sofortige Schliessung aller Skilifte und Seilbahnen an. In anderen Kantonen ist die Lage am nächsten Tag dagegen noch immer völlig widersprüchlich. Einzelne Gebiete sind offen, andere nicht. Am Samstagabend ist dann aber unmissverständlich klar – die Skisaison 2019/2020 ist in den Alpen vorzeitig zu Ende.

Sommerski als Rettung in der Not

Das folgende Wochenende verbringe ich daher mit Wandern. Sonne und frische Luft haben noch niemandem geschadet, nur die immer eingeschränktere Reisefreiheit in Europa wird für mich mehr und mehr zum Problem. Als Teilzeit-Reisejournalist und regelmässiger Pendler zwischen der Schweiz und Deutschland sind Grenzübertritte für mich an der Tagesordnung. Wie wertvoll die Errungenschaft einer kontrollfreien Grenze ist, wird mir erst jetzt so wirklich bewusst, wo sie nicht mehr existiert. Immerhin, zurück nach Deutschland komme ich noch. Ein wichtiges Auftragsprojekt in Davos habe ich glücklicherweise in der Vorwoche noch abschliessen können, sodass mich die vorübergehenden Fesseln zu Hause nicht übermässig stören.

Doch auch wenn ich die Problematik der ganzen Sache einsehe, der Blick auf die traumhaften Schneeverhältnisse im März, April und Mai schmerzt. So steht für mich ausser Frage, dass ich bei erster Gelegenheit im Sommer die neue Saison eröffnen möchte. Nach einigen Schwierigkeiten bei der Terminfindung ist es dann im Juli im Rahmen einer Reportage am Stilfser Joch endlich soweit, kurz darauf geht es nach Zermatt.

Andere Länder, andere Sitten

Schon zu diesem Zeitpunkt liegt aber irgendwie in der Luft, dass der nächste Winter in Sachen skifahren nicht unproblematisch werden wird. Im Laufe des Herbsts kristallisiert sich dann immer mehr heraus, dass einerseits Grenzübertritte auch innerhalb des Schengenraums wieder so schwer wie möglich gemacht und andererseits touristische Aktivitäten weitgehend unterbunden werden. Insbesondere in Deutschland werden Reisen und Wintersportaktivitäten – egal ob skifahren, rodeln oder wandern – auch ohne empirische Grundlage zum Sündenbock auserkoren und daher verboten. Auch in anderen Alpenländern bleiben die Skigebiete geschlossen. Die Schweiz bleibt glücklicherweise die Ausnahme und beweist in den folgenden Monaten, dass Skifahren genau wie andere Aktivitäten an der frischen Luft kein Pandemietreiber ist.

In Österreich sind die Skigebiete zwar prinzipiell ebenfalls offen, als Nicht-Einheimischer ist es wegen Einreisequarantäne und geschlossener Beherbergungsbetriebe aber faktisch unmöglich, dorthin zu gelangen. Ischgl und Samnaun stellt das vor grosse Probleme. Nicht nur, weil Skifahren für viele Gäste hier eigentlich nur eine Beschäftigung zur Überbrückung der Zeit bis zum nächsten Vollrausch ist und die Après-Ski-Tempel nach den Ereignissen des letzten Winters berechtigterweise Sendepause haben. Auch als grenzüberschreitendes Skigebiet zwischen der Schweiz und Österreich ist an einen Normalbetrieb nicht zu denken. So bleiben die Anlagen auf Ischgler Seite wegen der strengen Massnahmen in Österreich zum ersten Mal seit der Erschliessung des Skigebiets in den 60er Jahren ausser Betrieb.

Die Samnauner Seite erlebt dagegen einen fast normalen Winter. Fast normal, denn auch wenn die Schweiz als letztes touristenfreundliches Land der Alpen einen regelrechten Boom bei Skifahrern aus den umliegenden Ländern erlebt, sind die Pisten in Samnaun leergefegt. Die Partybusse aus Ischgl, die Massen von der Idalp, sie alle bleiben dieses Jahr dem Skifahren fern.

Samnaun in ungewohntem Ambiente

Es ist eine einmalige Gelegenheit, das Skigebiet der Silvretta Arena in ganz ungewöhnlichem Ambiente kennenzulernen. Ein Netz aus Hochleistungsseilbahnen, eine scheinbar perfekte Infrastruktur für abertausende Besucher – völlig nutzlos für die wenigen Gäste in diesem Winter.

Das temporäre Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage weckt Interesse in mir. Mir geht es beim Skifahren weit weniger um einen möglichst kurzen Weg vom Parkhaus zur Haubensesselbahn oder um die perfekt präparierte Abfahrt nach dem Panoramagenuss aus der geräumigen Kabine mit Sitzheizung. Vielmehr stehen für mich Dinge im Vordergrund, über die sich der normgemäße Besucher eigentlich gerade keine Gedanken machen soll. Mich faszinieren der Versuch einer Erklärung und die Hinterfragung der Ideen, die sich hinter den Fassaden der Talstationen und Bergrestaurants dieser Welt verbergen. Ein Blick von außerhalb, von einer Art Metaebene, auf die Tourismusinfrastruktur und andere Aspekte des menschlichen Schaffens im Gebirge. Und so mache ich mich – natürlich nicht ganz unvoreingenommen, aber mit einer gehörigen Prise Neugier – im März 2021 auf den Weg ins abgelegene Samnaun.

Anreise in die abgelegenste Ecke Graubündens

Fast drei Stunden nimmt die Anreise in Anspruch, überraschend wenig massentauglich ist die kleine Strasse von Vinadi nach Ravaisch, dem Schweizer Einstiegspunkt in die Silvretta Arena. Der übliche Weg ins zollfreie Samnaun führt über Österreich, doch dort sind Touristen dieser Tage unerwünscht. Für die wenigen Autos, die sich an diesem Vormittag nach Samnaun verirren, reicht aber auch die in typisch schweizerischer Manier mit vielen Tunnels und Kehren erstellte Route westlich der Grenze aus.

So ist trotz fortgeschrittener Tageszeit auch der Parkplatz an der Zubringerbahn noch nahezu jungfräulich leer. Gleich zwei Pendelbahnen befördern die Gäste von hier zum Alp Trider Sattel, eine aus den 70er Jahren, die andere aus den 90ern. 80 Personen fassen die beiden Kabinen der älteren Anlage, 180 verteilen sich bei der neueren auf zwei Stockwerke. In Coronazeiten sind es nicht annähernd so viele. Nicht nur wegen der vorgeschriebenen Kapazitäts-, sondern auch wegen der Interessenreduktion in der Silvretta Arena in diesem Jahr.

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Zur Entstehungsgeschichte des Skigebiets von Samnaun

Nur der neuere <em>Twinliner</em> ist an diesem Tag für die Öffentlichkeit in Betrieb, die ältere Pendelbahn übernimmt lediglich einige Materialtransporte. Sie ist eines der letzten Seilbahnexemplare, das in Samnaun heute noch aus der Gründerzeit des Skigebiets vorhanden ist. Skigefahren wird in Samnaun zwar bereits seit den 1960er Jahren an zwei kleinen Schleppliften, der Tourismus findet jedoch erst ein gutes Jahrzehnt später Einzug. 1978 erfolgt der Bau der ersten Zubringer-Luftseilbahn, als Ergänzung entstehen im selben Jahr drei lange Schlepplifte rund um die Alp Trida. Sie bedienen ein weitläufiges Pistenareal und binden Samnaun über das Viderjoch auch an das Skigebiet von Ischgl auf Tiroler Seite an.

Dort erschliessen zu diesem Zeitpunkt bereits seit vielen Jahren diverse Seilbahnen die Hänge rund um die Idalpe. Der neue Sektor in Samnaun erfreut sich daraufhin schon in den ersten Jahren grosser Beliebtheit. Die Verbindung zwischen den beiden Ländern erfolgt auf Samnauner Seite durch den Schlepplift Viderjoch, der mit knapp 2,4 Kilometern der damals längste im Kanton Graubünden. Die Anlage ist aber nicht nur Zubringer, sondern bedient auch einige der beliebtesten Hänge rund um die Alp Trida. Entsprechend ist der Schlepplift schon von Beginn an völlig überlastet und wird daher nur zwei Jahre später bereits um eine Parallelanlage ergänzt.

Die beiden Viderjoch-Schlepplifte sind während der folgenden Jahrzehnte das Markenzeichen von Samnaun. Zu Beginn der 90er Jahre erfolgt dann aber innert kurzer Zeit ein massiver Ausbau der Infrastruktur. 1991 entsteht die erste fix geklemmte Sesselbahn in Samnaun, drei Jahre später erblicken dann die beiden ersten kuppelbaren Anlagen das Licht der Welt. Heute erschliesst eine ganze Reihe von Hochleistungssesselbahnen das Areal. Weitere sollen folgen. Für die kommenden Jahre plant Samnaun nicht nur zwei weitere Zubringerbahnen aus dem Tal, sondern auch eine Erweiterung durch zusätzliche Sesselbahnen an der Greitspitz. Nun denn!

Von feinen Gerichten und leeren Pisten in Samnaun

Am Alp Trider Sattel angekommen fällt der Blick zunächst unweigerlich auf das geschlossene Bergrestaurant neben der Station. In normalen Jahren vermutlich ein rustikal-authentischer Self-Service-Bunker mit feinen hausgemachten Kasspatzen nach Oma’s [sic!] Originalrezept aus dem Grosshandel. Doch weil in diesem Winter alles anders ist, warten die kulinarischen Genüsse ausschliesslich eine Etage tiefer beim Take-Away auf der Alp Trida.

Von dort erklimmt eine Sesselbahn die rund 200 Höhenmeter bis zum Sattel. Ihre sechsplätzigen Gefährte drehen in Zeitlupe ihre Runden, leer den Berg hinauf und leer auch wieder hinab. Gegenüber das gleiche Bild am Visnitzkopf, dort jedoch verleihen zumindest ein paar wenige Skifahrer der sonst statisch wirkenden Modelllandschaft etwas Dynamik. Überhaupt ist es erstaunlich, wie klein und konzentriert das Skigebiet aufgrund der ganzen monströsen Anlagen wirkt.

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Eine eher unspektakuläre Abfahrt mündet in den auf voller Breite planierten Talkessel der Alp Trida. In alle denkbaren Richtungen fahren die Sesselbahnen hier teilweise über mehrere Etagen verteilt kreuz und quer den Berg hinauf. Die Sesselbahn zum Alp Trider Sattel als Tiefflieger quer über die Ebene, eine Vierer- und eine Sechsersesselbahn in Richtung Österreich quer darüber und der kurze Milolift diagonal dazu drunter durch. Die Kombination gleicht einer real existierenden Skigebiets-Karikatur eines Ultra-Ökos.

Und gerade das macht diesen Ort irgendwie faszinierend. Während andere grosse Skigebiete mit allen Mitteln versuchen, in ihren gästeflussoptimierten Freizeitparks ein authentisches Naturerlebnis zu suggerieren, hat man diese Strategie hier offenkundig schon längst aufgegeben. Auf der Alp Trida wird gar nicht mehr erst der Eindruck vermittelt, man befände sich in der Natur. Zwischen all den grauen Stützen und gelben Schneekanonen kommt der Gewinnmaximierungsapparat mit seinen industriellen Ausmassen nur allzu gut zum Vorschein.

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Von Überraschungen und Abenteuern in Samnaun

Maximaler Komfort und maximale Sicherheit, das ist auch das Motto bei der Visnitzbahn, dem neuesten Zugang zur Samnauner Seilbahn-Infrastruktur. Sanft gleiten die beheizten Sessel aus der Talstation hinaus, während der Schliessbügel mit einem leisen „Klack“ verriegelt und sich vor der Bergstation auch nicht mehr aus Versehen öffnen lässt. Egal ob ein, zwei oder drei Promille, hier kommen sie alle wohlbehalten oben an. 3500 Personen kann allein diese Anlage jede Stunde auf den Berg transportieren. Die Frage, wie sie im Anschluss wieder zur Alp Trida kommen sollen, ohne sich dabei gegenseitig über den Haufen zu fahren, bleibt mangels einer ausreichenden Anzahl an Versuchspersonen an diesem Tag unbeantwortet.

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Immerhin, in Richtung der Alp Bella sind die Ausblicke durchaus sehenswert. Die Abfahrt ist coupiert und überraschend dem natürlichen Gelände folgend durch das Hochtal trassiert, aber mit den nächsten ins Blickfeld ragenden Hochleistungsanlagen will sich auch hier kein wirkliches Hochgebirgsgefühl einstellen. Sechsplätzig mit Farbfilter geht es hinauf nach Muller, vierplätzig nach Grivalea. Irgendwie auch ganz nett, aber wie alle Pisten in Samnaun ohne das gewisse Etwas. Als zu Beginn der Skigebietserschliessung in diesem Bereich nur der kurze Muller-Schlepplift als Rückbringer zur Alp Trida steht, wird die Abfahrt vom Visnitzkopf zur Alp Bella ein Abenteuer gewesen sein. Aber mit der üppigen Infrastruktur dieser Tage will man auch hier die Freizeitparkatmosphäre irgendwie nicht loswerden. Trotz der leeren Abfahrten an diesem Vormittag.

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Von Grenzen und Berührungsängsten in Samnaun

Ein weiteres Mal geht es schwebend über die Alp Trida hinweg. Erst mit der langen Flimsattel-Sesselbahn zur Grenze, dann mit der Viderjoch-Sesselbahn auf halbe Höhe. Ihre ein Jahr jüngere Schwesteranlage eine Etage weiter oberhalb befindet sich wie die Ischgler Seite im Winterschlaf. Sie ist genauso redundant wie die erste Sektion, eine reine Ergänzung für eine längere Parallelanlage. Warum die meisten Hänge gleich doppelt erschlossen werden, lässt sich nur mutmassen. Bei zwei Möglichkeiten liegen die Chancen so vermutlich auch nach ein paar Bier zu viel noch gut, einen Treffer auf der Suche nach dem Heimweg zu landen.

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Den höchsten Punkt der Silvretta Arena erreicht die Greitspitzbahn, 2872 Meter liegt die Bergstation vertikal vom Mallorca-Ballermann entfernt. Zum Ballermann der Alpen ist es von hier aus im Normallfall nicht mehr ganz so weit, doch was ist in diesem Winter schon normal? Die Greitspitz liegt genau auf der Grenze zwischen der Schweiz und Österreich. Mehrere Möglichkeiten bieten sich üblicherweise von hier, zur Idalp und nach Ischgl hinabzufahren. Dieses Jahr dominieren hingegen Absperrbänder und Warnschilder den Berggrat. Ausgerechnet in diesem einzigen Winter, in dem von Ischgl gerade keine Gefahr auszugehen scheint. Doch ein Grenzübertritt nach Österreich würde unweigerlich eine Quarantäneanordnung nach sich ziehen. Entsprechend jungfräulich unberührt kommt die Idalp daher. Irgendwie paradox, wenn man sich die übliche Klientel vor Augen führt.

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Von Anspruch und Abwechslung in Samnaun

Die Möglichkeiten zur Abfahrt von der Greitspitz beschränken sich daher auf den Schweizer Teil der Silvretta Arena. Und recht überraschend sind sie im Gegensatz zu allen anderen Pisten in Samnaun durchaus anspruchsvoll und abwechslungsreich. Steil im oberen Teil, angenehm trassiert auf den unteren Abschnitten. Dazu eine idyllische Ruhe auf allen Wegen. Wie es hier zugeht, wenn alle Anlagen ausgelastet sind, will man sich dagegen lieber nicht vorstellen.

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Gleich hinter der Greitspitzbahn und einem weiteren hybernierenden Bergrestaurant macht unüberhörbar ein Aussenseiter auf sich aufmerksam. Der Schlepplift Blais Gronda ist neben der Zubringerpendelbahn das letzte Relikt aus der Ursprungszeit des Skigebiets. Stolze 40 Betriebsjahre hat er bereits hinter sich gelassen und will zwischen all den modernen Sesselbahnen irgendwie nicht mehr so recht ins Bild passen. Warum wohl gerade dieser steile Schlepplift überlebt hat? Vielleicht, weil man ihn dank der Greitspitzbahn seit 1998 eigentlich nicht mehr unbedingt benötigt. Auch hier ist der zugehörige Hang wieder kurz, wirkt aber ob der vergleichsweise mickrigen Dimensionen der Aufstiegshilfe weitaus reizvoller als manch anderer in Samnaun.

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Ganz ohne geht’s auch ohne Ischgl nicht

Dann ist es Zeit für eine Mittagspause. Die wenigen Skifahrer des heutigen Tages hat es mittlerweile fast alle hierher, zur einzigen Verpflegungsmöglichkeit, auf die Alp Trida verschlagen. Und das, obwohl sich die Konsumation von Speis und Trank schwieriger gestaltet als auch schon. Einige Tage zuvor muss sich der Kanton Graubünden der Ansage von ganz oben beugen, dass die Terrassen der Bergrestaurants zu schliessen seien. Seitdem werden die Take-Away-Gerichte in ihren voll zeitgeistkonformen Plastikverpackungen wahlweise im Schnee oder – bei pfiffigen Wirten – an Tischen neben der Terrasse verschmaust.

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In meinem Fall dient eine grosse Mülltonne als Abstellplatz für meinen wankenden Getränkebecher, während ich in ein anbieterseitig deckungsbeitragsoptimiertes Sandwich beisse. So viel Improvisation in der sonst so perfekt durchorganisierten Bergwelt. Da ist selbst das Fehlen der sonst stets mit viel Liebe, aber meist wenig Talent zubereiteten Grosshandel-Kasspatzen verschmerzbar.

Während die zweite Hälfte des Sandwichs unter dem Deckel meines Abstellplatzes verschwindet, suhlt sich eine Gruppe selbsternannter Skiprofis osteuropäischen Ursprungs wenige Meter weiter oberkörperfrei bei einer Flasche Schampus im Schnee. Ihren Lauten nach zu urteilen ist es weder die erste noch die letzte des Tages. Ganz ohne geht’s eben auch ohne Ischgl nicht.

Zurück nach Samnaun

Der Weg zurück nach Samnaun führt abermals über den Alp Trider Sattel und via Luftseilbahn nach Ravaisch. Die in diesem Winter einzige Talabfahrt endet an anderer Stelle und der Transport im Skibus zurück zur Seilbahn ist dann doch nicht das Wahre. Dass man diesen Zustand zu ändern versucht, ist verständlich. Und dass in diesem Zuge dann noch ein weiterer leistungsstarker Zubringer in das Skigebiet entstehen soll, ist auch nicht weiter verwunderlich.

Wenn’s noch so wäre wie zu Beginn der Samnauner Skigebietsära, die drei Schlepplifte auf der Alp Trida, der Muller- und der Blais-Gronda-Lift, ja, das wäre genau nach meinem Geschmack. Es wären dieselben Pisten erschlossen wie heute, nur mit einer deutlich reduzierten Infrastruktur. Das Skierlebnis wäre um Längen intensiver. Relief und Panorama besitzen durchaus Potenzial. Aber in Samnaun hat man sich eben genau wie in Ischgl einem anderen Stil verschrieben.

Und dieses Vorgehen ist grundsätzlich auch gar nicht zu kritisieren. Der Erfolg spricht für sich. Der Sauftourismus ist lukrativ. Dass das Skigebiet in Samnaun aus Pistensicht nichts Aussergewöhnliches zu bieten hat, ist aus diesem Grund eher zweitrangig. Von den erwirtschafteten Jahresüberschüssen können andere Destinationen nur träumen. Zu welchem Preis für Mensch und Natur, das muss jeder selbst für sich selbst beurteilen. Andererseits ist es für den Rest vielleicht auch besser, wenn sich die Massen an Orten wie diesen konzentrieren. Der vergangene Winter hat gezeigt, dass der gemeine Ischgl-Gast in der Wohlfühlatmosphäre des Paznauntals dann doch besser aufgehoben ist, als im Schwarzwald auf grosse Individualwandertour zu gehen.

Fazit

Die Absurdität manch menschlicher Errungenschaft kommt erst dann so wirklich zum Vorschein, wenn ihr angedachter Zweck obsolet geworden ist. Samnaun hat das eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Gleichwohl wird der gegenwärtige Zustand ohne Zweifel lediglich vorübergehender Natur sein. Der Mensch vergisst schnell. Spätestens wenn die ersten Pauschalangebote locken, wird auf den Tanzflächen der Kuhställe und Kitzlöcher dieser Welt auch wieder damit kokettiert werden, Ischgl überlebt zu haben.

Die Form, in der ich die Silvretta Arena erleben durfte, ist mit diesem Zustand sicher nicht direkt vergleichbar. Dennoch ist es interessant, überhaupt einmal in diese mir so fremde Welt eingetaucht zu sein. Eine Welt, die mir ohne die Coronapandemie vermutlich noch lange verborgen geblieben wäre. Und doch bin ich froh, sie rechtzeitig wieder verlassen zu haben, bevor der Rubel hier wieder so richtig rollt.

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