Seilbahnen – sicheres Verkehrsmittel in den Bergen [NZZ]

Aktuelle Ereignisse, Planungen und Baudokumentationen zum Thema Seilbahnen und Berginfrastruktur.
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Dani
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Seilbahnen – sicheres Verkehrsmittel in den Bergen [NZZ]

Beitrag von Dani »

www.nzz.ch hat geschrieben:Seilbahnen – sicheres Verkehrsmittel in den Bergen

Wohin die technischen Trends gehen

Seilbahnen sind, speziell aus Schweizer Sicht, Bergbahnen, die vorwiegend Schneesportlern als Aufstiegshilfen dienen, und Schlagzeilen machen sie vor allem, wenn Unfälle oder Pannen auftreten. Dabei gehören sie zu den sichersten Verkehrsmitteln, und sie werden fortwährend weiterentwickelt – auch mit Technik aus der Schweiz.

Gabor Oplatka

Anders, als die ihnen gewidmeten sporadischen Schlagzeilen vermuten lassen, gehören Seilbahnen zu den sichersten Verkehrsmitteln. Allerdings ist ein exakter Vergleich mit den anderen Transportträgern wegen der verschiedenen Bezugsgrössen, auf die sich die Statistiken stützen, problematisch. Die Statistik der unter der Aufsicht des Bundes stehenden schweizerischen Seilbahnen der Jahre 2002 bis 2007 zeigt Folgendes: Auf den 641 Bahnen (Bestand 2007) wurden jährlich etwa 185 Millionen Fahrgäste gezählt. Von diesen erlitten im Schnitt jährlich 14,5 Personen eine Verletzung, das heisst pro 100 Millionen Fahrgäste etwa 7,8 Personen; dabei unterscheidet sich die relative Zahl der Verletzten je nach Bahntyp erheblich (vgl. Tabelle). Anders ausgedrückt kommen auf einen Verletzten 12,8 Millionen Passagiere, was nahezu dem Doppelten der Einwohnerzahl der Schweiz entspricht. Tödliche Verletzungen erlitt in diesen sechs Jahren kein Fahrgast; 2008 musste wegen der Entgleisung eines Seils ein Todesfall beklagt werden. Der letzte tödliche Unfall davor hatte sich 1996 infolge eines Achsbruchs ereignet. Zum Vergleich: In der Schweiz sterben pro Jahr 3 bis 6 Personen an Blitzschlag, was, wie es scheint, von der Bevölkerung nicht als grosse Gefahr wahrgenommen wird.

Funktionierende Sicherheitsinstrumente
Untersucht man die Vorfälle nach ihren Ursachen, zeigt sich, dass sogenannte Ereignisse zu 80 Prozent auf technische Gründe oder höhere Gewalt zurückzuführen sind und zu 20 Prozent auf Fehlverhalten von Fahrgästen oder Personal; bei den Unfällen ist das Verhältnis genau umgekehrt. Jedoch dürfte die Dunkelziffer hoch sein, denn Vorfälle ohne Konsequenzen werden vermutlich weniger vollständig gemeldet. Technische Gründe und höhere Gewalt sind also für den überwiegenden Teil der Ereignisse verantwortlich, die Sicherheitseinrichtungen funktionieren aber gut, weshalb daraus nur selten Unfälle resultieren. Um diesen hohen Sicherheitsstandard zu erhalten und wenn möglich noch zu steigern, braucht es weiterhin gut ausgebildete, motivierte Teams auf allen Stufen. Die Technik muss stimmen, der Betrieb muss gut geführt und für die Bewältigung von ausserordentlichen Situationen (z. B. Bergung) vorbereitet sein, und schliesslich sind die Instandhaltung und die Kontrollen gemäss den gesetzlichen Vorschriften kompromisslos durchzuführen.

All das hat einen Preis, der sich in den Kosten der Fahrausweise niederschlägt. Hier gehen die Wahrnehmungen der Fahrgäste und die Realität auseinander. Der Gast kauft das Billett für die Benützung der Anlagen und empfindet den Preis dafür als unverhältnismässig hoch; umso mehr, als er nicht wegen der Bahnen, sondern wegen der Pisten und der damit verbundenen Erlebnisse kommt. Für ihn weniger klar bzw. von den Bahnen zu wenig bekanntgemacht ist, dass ihm nicht nur der Transport, sondern eine Reihe von Zusatzleistungen geboten werden, nämlich ein System, bestehend aus Zufahrt, Parkplatz, Bahnen, Pisten (Präparierung, Beschneiung, Markierung, Überwachung, Sicherung, Begrünung), Wegen, Infrastrukturen (Energieversorgung, Toiletten, Wasser, Abwasser, Abfallentsorgung, Versicherungen usw.) sowie Abgeltungen an die Grundeigentümer bzw. für den Natur- und Wildschutz. Finanziell sind die Bahnen als Zugpferde für den Tourismus in sonst strukturschwachen Gebieten meistens auf sich selber gestellt.

In den Schneesportgebieten der Alpenländer, Skandinaviens, Nordamerikas werden veraltete Seilbahnen kontinuierlich ersetzt, und zwar durch komfortablere und effektivere Bahnen, die unter anderem den Bedürfnissen behinderter Menschen angepasst sind und höheren Windgeschwindigkeiten zu trotzen vermögen. Dabei verschwinden vorwiegend Anlagen, die eine Mitwirkung der Fahrgäste erfordern, also insbesondere Skilifte und fix gekuppelte Sesselbahnen, die im Betrieb teuer und unfallträchtig sind. Neue Schneesportgebiete werden vor allem in Osteuropa und in Asien erschlossen.

Seilbahnen werden auch zunehmend anstelle von Bus oder Tram für den urbanen Personentransport eingesetzt. Sie sind nicht an das Strassennetz gebunden, sparsam im Energiekonsum und leise. Nebst ihrer Funktionalität sind Fahrzeuge und Stationen von den Architekten als Objekte für künstlerische Gestaltungen entdeckt worden. Weitere Einsatzgebiete sind Shuttles in Flughäfen (zum Beispiel in Zürich Kloten), temporäre Anlagen für grössere Ausstellungsgelände oder zur Überbrückung länger dauernder Baustellen.

Seilbahn und Förderband
Für die Gewinnung von Rohstoffen transportieren Seilbahnen Schüttgut in immer grösseren Mengen und auf zunehmend länger werdenden Distanzen, insbesondere auch in unzugänglichen Gebieten. Eine Lösung hierfür bietet eine Kombination von Seilbahn und Förderband, die in sich die Vorteile beider Systeme vereinigt. Gegenüber konventionellen Förderbändern können Spannweiten von bis zu 1,5 Kilometern und mehr sowie Streckenlängen von bis zu 20 Kilometern realisiert werden, und das bei wesentlich kleinerem Energiebedarf. Schliesslich kann die Instandhaltung der bewegten Teile in der Station erfolgen. Eine solche Anlage dient bei St. Gallen für die Beschickung einer Deponie mit Aushubmaterial.

Für den Transport von Stückgut eignen sich die gleichen Bahnen wie für Personen. Anstelle der Kabinen verwendet man dem Zweck angepasste Lastaufnahmemittel. So werden beispielsweise Doppelseil-Umlaufbahnen für den innerbetrieblichen Transport in Autofabriken eingesetzt. Die Vielfalt der Spezialaufgaben, die durch Seilbahnen gelöst werden können, ist gross. Zu erwähnen sind die Evakuierung von Bohrtürmen in Brandfällen, der Transport eines Organisten zu einer ohne direkten Zugang in beträchtlicher Höhe placierten Orgel, die Instandhaltung der Seile von Schrägseilbrücken, die Versorgung von schwer zugänglichen Baustellen, Lawinensprengungen oder der Transport von Holz in steilem Gelände. Dass diese Entwicklung weitergehen wird, dafür sorgen der Wettbewerb sowohl zwischen Herstellern als auch zwischen den Destinationen sowie die steigenden Ansprüche der Fahrgäste.

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^^ Seilbahnen gehören zu den sichersten Verkehrsmitteln und werden fortwährend weiterentwickelt. (Bild: Seilbahnen Schweiz)

Was man unter Seilbahnen versteht
G. O. Seilbahnen sind Transporteinrichtungen für Personen oder Materialien, bei denen als Fahrbahn oder als Zugorgan Seil verwendet wird, also vor allem Luftseilbahnen, Standseilbahnen, Schrägaufzüge, Gondelbahnen, Sesselbahnen, Materialbahnen und Seilkrane. Seilbahnen sind relativ unabhängig von Gelände und übrigem Verkehr, ihr Bodenbedarf ist klein, die jeweilige Bauart lässt sich der Transportaufgabe und der Umgebung anpassen, es bestehen die Möglichkeiten der Netzbildung und der Automatisierung, der Material- und der Energiebedarf sind gering, Geräuscharmut und Sicherheit hoch. Sie bieten Aussicht für die Fahrgäste, und ihr Betrieb wird ausser bei den ebenerdig geführten Standseilbahnen durch extreme Schneefälle nicht beeinträchtigt. Demgegenüber sind, wiederum ausser bei Standseilbahnen, Kurven und Zwischenstationen nur aufwendig zu realisieren, örtliche Pannen behindern jeweils die ganze Linie und bedingen bei längerer Dauer die Bergung der Fahrgäste, ferner muss bei der Überschreitung der bei der Planung vorgesehenen maximalen Windgeschwindigkeit der Betrieb eingestellt werden. Zudem ist der gelegentlich gebotene Einblick in Schlafzimmer umliegender Häuser nicht erwünscht.

Der Autor ist ehemaliger Leiter der Abteilung Seilbahntechnik am Institut für Leichtbau und Seilbahntechnik der ETH Zürich.
Quelle: http://www.nzz.ch/magazin/mobil/die_vie ... 32644.html

Der Lehrstuhl für Seilbahntechnik an der ETH wurde überigens vor kurzen abgeschafft, da nicht mehr nötig. Wobei, anstatt dort müssen jetzt halt gewisse Forschungsgebiete von der Privatwirtschaft getragen werden, bzw. die Inovation wird verlangsamt. Und die Seilbahnen werden teurer :(
Bilder von Seilbahnen und Skiliften: www.seilbahnbilder.ch
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Dani
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Re: Seilbahnen – sicheres Verkehrsmittel in den Bergen [NZZ]

Beitrag von Dani »

Achja, wie man im URL sieht war der ursprüngliche Titel anscheinend "Die vielen Gesichter der Seilbahn" - was meiner Meinung nach passender zum Artikel ist.
Bilder von Seilbahnen und Skiliften: www.seilbahnbilder.ch
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