24-ST Interlaken - Heimwehfluh

Technik-Reportagen aus dem Berner Oberland und dem Berner Mittelland.
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migi
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24-ST Interlaken - Heimwehfluh

Beitrag von migi »

24-ST Interlaken - Heimwehfluh

In der Lokalbevölkerung trägt die Heimwehfluhbahn den Titel der wohl teuersten Bergbahn der Schweiz. Ist das nach der Bewältigung des kurzen Wanderwegs nötige kühle Bier im Panoramarestaurant bei der Bergstation doch merklich günstiger als das Billett für die Bahnfahrt. Statt den Wanderschuhen die Bahn zu nutzen lohnt jedoch, erlebt man hier doch pure Seilbahnromantik. Gemächlich fährt man in den nostalgischen Wagen mit ihren hölzernen Wagenkasten und den charakteristischen offen Abteilen über 186 Meter Streckenlänge bergwärts. Knapp drei Minuten dauert die Fahrt mit einer Geschwindigkeit von maximal 1,3 Metern pro Sekunde. An der Bergstation angelangt sind es nur noch ein paar Stufen hinauf bis auf die Plattform des Aussichtsturms, von wo aus sich eine einzigartige Aussicht auf Interlaken, Thuner- und Brienzersee, sowie auf die umliegenden Berggipfel bietet. Hoch oben, in ewiges Weiss getaucht, blitzt das Dreigestirn von Eiger, Mönch und Jungfrau hervor.

Von der Schönheit des sich bietenden Ausblicks wusste man in Interlaken schon seit langer Zeit und legte bald einmal ein umfangreiches Wegnetz an. Am höchsten Punkt baute man 1865 einen ersten Holzturm und ersetzte ihn 1890 nach einem verheerenden Sturm durch den heute noch vorhandenen, gemauerten Aussichtsturm. Um den immer zahlreicher anreisenden Touristen den 30-minütigen Fussmarsch zu ersparen, begann man bereits zum Ende der 19. Jahrhunderts mit Planungen für den Bau einer Bahn. Verschiedene Streckenführungen und teils abenteuerliche Varianten wie beispielsweise eine Einschienenbahn wurden geprüft, am Ende jedoch wieder verworfen - mitunter auch aufgrund von Einsprachen der Bürger der Gemeinde Matten, auf deren Boden die Bahn zu liegen kommen sollte. Schliesslich entschied man sich für eine kurze Standseilbahn, die ihren Ausgangspunkt direkt am Ortseingang von Interlaken haben sollte. Im Jahr 1903 reichten die Bauherren Bürgi und Mühlemann bei der Regierung in Bern das Gesuch ein, welches im Dezember des darauffolgenden Jahres bewilligt wurde. Im Oktober 1905 begann man mit den Bauarbeiten. Ungefähr die Hälfte der Strecke kam auf einer gemauerten Steinbrücke zu liegen. Zusätzlich war unterhalb der Bergstation ein Felsriegel zu durchqueren, was man anfänglich mit einem 15 Meter langen Tunnel zu tun gedachte, jedoch aufgrund instabiler Gesteinsformationen in Form eines tiefen Geländeeinschnitt ausführte. Die Firma Alioth aus Münchenstein bei Basel lieferte die elektrischen Einrichtungen, der bekannte Seilbahnbauer von Roll den mechanischen Teil und die Firma SIG aus Schaffhausen die Aufbauten der beiden Wagen. Am 21. Juli 1906 wurde die Seilbahn feierlich eröffnet und erfreute sich rasch grosser Beliebtheit. Betrieb herrschte jeweils nur in den Sommermonaten.

Der erste Weltkrieg sorgte jedoch bereits bald für stark einbrechende Fahrgastzahlen. Mit Müh und Not und zeitweisem Einwagenbetrieb hielt man den Verkehr so gut es ging aufrecht und versuchte mit Marketing und Fahrscheinverkauf in den lokalen Hotels die Frequenzen zu steigern - allerdings grösstenteils ohne durchschlagenden Erfolg. Mit dem Beginn des zweiten Weltkriegs musste der Betrieb aufgrund der äusserst prekären Finanzlange ab September 1939 vorübergehend vollständig eingestellt werden. Ein Abbruch der Bahn stand alsbald zur Diskussion. 1948 startete man nach einigem Hin und Her jedoch einen neuen Versuch und nahm den Betrieb der während der Zeit des Stillstands durch den damaligen Betriebsleiter der Berner Oberland-Bahnen in Eigeninitiative weiterhin gewarteten Bahn wieder auf. Eine 1950 eröffnete Modelleisenbahngrossanlage in Spur 0 sollte zusätzliche Besucher bringen. Die ursprünglich roten Seilbahnwagen erhielten 1952 ein blau-weisses, 1978 im Zuge eines Besitzerwechsels dann das heutige braune Farbkleid. Über die Jahre stiegen die Besucherzahlen wieder stetig an, die Finanzlage des zuvor hochverschuldeten Unternehmens konnte stabilisiert werden.

Technisch ist die Bahn bis heute nahezu unverändert geblieben. Neben der 1971 (Wagen 1) bzw. 1981 (Wagen 2) eingebauten Übergeschwindigkeitsauslösung der Fangbremse und der Einrichtung einer Fernüberwachungsanlage im Jahr 2007 befindet sich die gesamte Anlage bis auf wenige Details im Originalzustand aus dem Eröffnungsjahr. Im Antriebsraum werkelt weiterhin der 34 Kilowatt starke Elektromotor und ist immer noch das originale offene Getriebe mit den beiden grossen, per Kettenzug aus dem Kommandostand bedienten Trommelbremsen im Einsatz. Bei den ungefähr 100 000 Touristen die die Heimwehfluh jedes Jahr besuchen, gilt sie mit ihrem ausgebauten Attraktionsangebot - es gibt beispielsweise eine Rodelbahn von der Bergstation bis hinunter ins Tal - als eine Art Geheimtipp ab von den grossen, an jeder nur denkbaren Ecke mit bunten Werbeplakaten angepriesenen Ausflugszielen in der Region. Auf der Heimwehfluh scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Und spätestens dann wenn man sich einmal vom grandiosen Panorama verabschieden musste, weiss man auch weshalb der Berg seinen Namen trägt.


Link zum Datenblatt

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Die Talstation liegt direkt am Ortseingang von Interlaken und präsentiert sich noch fast genau so wie zur Betriebseröffnung vor über 100 Jahren.


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Der Wagen 1 unterwegs im kleinen Einschnitt kurz oberhalb der Talstation.


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Der mittlere Streckenteil mit dem grössten Teil der Ausweiche befindet sich auf einer massiven Steinbrücke.

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Kreuzung der beiden Wagen in der Streckenmitte.

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Die einst in lichtem Wald verlaufende Strecke befindet sich inzwischen nahezu vollständig im dichten Gehölz des Rugenwalds.

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Wagen 2 im tiefen Felseinschnitt unterhalb der Bergstation. Kleines Detail am Rande: Die Nummernbeschriftung befindet sich nicht bei beiden Wagen an der identischen Stelle.

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Der Wagen 2 erreicht nach kurzer Fahrt die Bergstation.

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Farbige Markierungen am Seil helfen dem Maschinisten bei der korrekten Bedienung der immer noch vollständig manuell gesteuerten Maschinenanlage.

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Aussenansicht der Bergstation. Im Jahr 2000 wurde auf dem in direkter Bahnnähe verlaufenden Wanderweg eine Sommerrodelbahn installiert.

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Ankunfts-/Abfahrtshalle in der Bergstation. Linkerhand befindet sich der Eingang zur der Modelleisenbahngrossanlage. Die Tür in der Mitte des Raumes führt zum Kommandostand.

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Der Antrieb aus dem Jahr 1906 steht immer noch unverändert im Einsatz. Mittig sind die beiden Trommelbremsen, links die Sicherheits-, rechts die Betriebsbremse, zu erkennen.

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Über einen Riemen ist der Antriebsmotor mit dem offenen Getriebe gekoppelt.

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Die kleine Werkstatt ist direkt in den herrlich nach Schmierfett riechenden Maschinenraum integriert.
migi
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Re: 24-ST Interlaken - Heimwehfluh

Beitrag von migi »

Wer sich intensiver mit der Bahn und ihrer durchaus interessanten Geschichte befassen möchte, ist mit dem Buch "Drahtseilbahn Interlaken - Heimwehfluh" von Hansruedi Brawand, erschienen beim Prellbock Verlag, bestens bedient. Es bietet nicht nur viele alte Fotos und Pläne, sondern jede Menge Details zur Betriebsgeschichte.
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salvi11
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Re: 24-ST Interlaken - Heimwehfluh

Beitrag von salvi11 »

Danke für die Reportage, jetzt kenne ich den geschichtlichen Hintergrund der Anlage. Bisher bemühte ich mich nie darum :wink:

Die Standseilbahn macht einen ordentlich gewarteten Eindruck, sowie auch die Rodelbahn, bei welcher die Rodel per Habeggers Konstruktion wieder hochgefahren werden. Leider finde ich den Park an sich nicht so schön, aber das ist wohl Geschmackssache :wink: Die Modelleisenbahnanlage bin ich noch nie besuchen gegangen.

Anbei noch mein nicht gelistetes Video aus diesem Sommer, darin kommt auch der Rodel-Rückbringer vor, dessen Technik auch spannend ist.


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