"Die Seilspannkraft machts!" Teil 1

Technik, Betrieb, Entwicklung und Innovation bei Seilbahnen und ihren Komponenten.
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Engadin.Ropeways.99
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"Die Seilspannkraft machts!" Teil 1

Beitrag von Engadin.Ropeways.99 »

Einleitung:
"Die Seilspannkraft machts!" hat mir mal ein Monteur eines Seilbahn-Herstellers nach einem sehr anstrengenden Arbeits-Morgen am Mittagstisch gesagt. Die Umlenkscheibe der kuppelbaren Sesselbahn lag zur Mittagszeit unter der Station auf dem Boden, sie musste für den Lagerwechsel an der Nabe von der Station demontiert und abgelassen werden.
Nun, in den knappen 30-40 Minuten der Mittagszeit versuchten wir, den Teller mit (vielleicht) abgelaufenen Schnitzeln und labbrigen Pommes frites schnellstmöglich in uns hineinzudrücken und gleichzeitig einen sehr interessanten Diskurs über Seilspann-Einrichtungen von Umlaufbahnen zu führen. Das Resultat war, wie soll ich es sagen, solala... :lol:

Aber eine Passage des Gespräches ist mir geblieben: "Die Seilspannkraft macht's! Wenn diese nicht stimmt, dann ist nicht gut... :shock: Und es kann gut sein, dass die Projektierung, die Produktion und wir die Monteure alles richtig gemacht haben und die Anlage dann trotzdem Abspanntechnisch eine reine Katastrophe wird. Die Seilfelder schwingen, es schwingen Sesselgruppen auf gewissen Abschnitten, die Anlage fängt an zu Pumpen usw. Das ist eine variable, welche niemand absolut durchschaut hat, auch mit aller moderner Technik nicht...." war seine aussage.

Nach reichlichem überlegen musste ich recht geben. Eine Umlaufbahn richtig abzuspannen ist nicht so einfach wie man denkt! Darum auch der etwas anstössige Titel dieses neuen Themas. Grundsätzlich geht es um die Frage, wie Umlaufbahn-Anlagen abgespannt werden und welche Hintergrund-Gedanken bei der Projektierung der Anlagen eingeflossen sind. Dieser 1. Teil befasst sich vor allem mit der 1. Generation neuzeitiger Anlagen verschiedener Hersteller in der Schweiz, Österreich und Italien. Der Zeitrahmen sollte von Anfangs 80er bis Mitte / Ende 90er gesetzt sein.


1. Innovation der Kuppeltechnik
Anfang bis Mitte der 80er schien es seilbahntechnisch keine grenzen mehr zu geben. Namenhafte Seilbahnhersteller wie VonRoll, Doppelmayr, Garaventa, Städeli, Leitner, Poma, Agudio und Agamatic (dann später) brachten alle mitsamt die Kuppeltechnik langsam aber sicher in die Europäischen Skigebiete. Man hatte die Betreiber endgültig davon überzeugen können, die Kuppeltechnik nicht nur für Zubringer-, sondern auch für Beschäftigungs-Anlagen zu nutzen. So wurde die kuppelbare Umlaufbahn zum Kassenschlager und erfreute sich zudem bei den Gästen, durch ihren außergewöhnlichen Fahrkomfort, grosser Beliebtheit. Egal ob als Gondel- oder Sesselbahn.

2. Und die Abspannung?
Jedoch brachte diese neue Kuppeltechnik ein altes Problem wieder zum Vorschein, dass man aus frühen Zeiten der fixgeklemmten Systeme bereits kannte. Seilschwingungen! Das sind meistens willkürlich auftretende auf- und ab-Bewegungen während der Fahrt im Seilfeld. Diese können sich dann, mit der entsprechender Seilgeschwindigkeit und entsprechenden Fahrzeugabständen, zu erheblichem Auf- und Ab-Schaukeln der Sessel im Seilfeld aufschaukeln. Die kleinste Konsequenz ist meistens ein unwohler Magen, die grössten können bis zur Seilentgleisung auf den Rollenbatterien führen! Das wusste man damals schon. Wie ging man diesem Problem an?

3. Die Abspannung typ "Wäscheleine"
Speziell VonRoll und Garaventa setzten ab den Bau der ersten kuppelbaren Sesselbahnen auf eine generell sehr weiche Abspannung des Förderseils. Dabei entsteht bei Voller Zuladung die sogenannte "Wäscheleine" (sorry Persönlicher Ausdruck :lol: ) Die Durchhängedifferenz von leerer zu voller Aufstiegsseite ist an manchen Anlagen enorm, kenne persönlich Anlagen an welchen der Abstand (vertikal gemessen) vom bergwärts und talwärts fahrenden Sessel mehrere meter beträgt. Zudem pumpen diese Anlagen bei voller Fahrt und Zuladung extrem. Fragt man die mitfahrenden Skigäste auf dem Sessel oder in der Gondel bekommt man ab und zu sehr lustige Antworten. Sie reichen von: "Bin seit 30 Jahren hier, dieser Sessel hat immer so gemacht" bis "Mir ist übel, dieses geschaukele ist unerträglich!" Wenn man sich die gebauten anlagen anschaut, bessert sich die Problematik ab Anfang bis Mitte der 90er, die Spannkräfte stiegen im generellen an. Wird wohl auch damit zusammenhängen dass immer mehr Förderleistung für die Anlagen gefordert wurde. Jedoch bleiben die Spannkräfte im vergleich mit z.B Leitner für lange Zeit sehr tief. Der Vorteil von diesem System ist, dass die Anlage auch mit sehr sprektakulärer Seilführung an allen Stützen einen überschaubaren Seilauflagedruck vorzuweisen hat. Nachteile sind sicher die häufiger auftretenden Schwingungen in den Seilfeldern.

4. Die Abspannung typ "Gitarrensaite"
Extremes Gegenbeispiel zu den Lösungen von VonRoll und Garaventa sind die "Gitarrensaiten"-Abspannsysteme von Doppelmayr (teilweise, der macht alles mögliche), Städeli, Leitner und Agamatic. Dabei wird das Förderseil mit enormer Spannkraft über die Strecke gespannt. Die Durchhängedifferenz an solchen Anlagen ist nur noch marginal bis fast kaum sichtbar. Zudem entstehen an scharfen Seil-Ablenkungen (Bsp. Doppel-Tragstütze vor Einfahrt in Bergstation) extreme Seilauflagekräfte, welche mit entsprechend grossen Rollenbatterien aufgenommen werden müssen. Der grosse Vorteil dieses Systems gegenüber der "Wäscheleine" ist ganz klar die Stabilität gegenüber Seilschwingungen. Stark abgespannte Anlagen neigen im generellen zu weniger Seilschwingungen als schwach abgespannte. Der Nachteil dieses Systems wird besonders bei einer Anlage mit sehr wechselhaften Seilverlauf deutig. Die scharfen Seilablenkungen erfordern grosse Rollenbatterien mit viel Auflagedruck an den Rollen. Wenn der Seilverlauf jedoch schön linear ist, sind die Auflagekräfte an den Rollenbatterien sogar kleiner als an schwach abgespannten Anlagen.

5. "Und was soll ich nun an der Anlage verbauen?"
Und genau da möchte ich diese Diskussion mit den Mitwirkenden dieses Forums weiterführen.

Was ist nun das richtige für diese spezifische Anlage?
Gibt es andere Erfahrungen betreffend Seilschwingungen und Fahrkomfort?
Gibt es weitere Ideen betreffend Seilspanneinrichtungen?

Das sind alles Fragen, worauf ich um ein paar Antworten seitens Forum sehr erfreut wäre... :D

Grüsse aus dem sonnigen Engadin!
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