100-ST Schlattli - Stoos

Technik-Reportagen aus den Kantonen Luzern, Obwalden, Nidwalden, Schwyz, und Uri.
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migi
Skilift Hohstock
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100-ST Schlattli - Stoos

Beitrag von migi »

Die Muotathaler Wetterfrösche sind mit ihren Jahreswetterprognosen jedem gestandenen Schweizer Bürger ein Begriff. Weniger bekannt ist das autofreie Dorf Stoos, welches oberhalb des Muotathals auf einem sonnigen Plateau liegt. Bereits Mitte des 18 Jahrhundert wurde auf der Hochebene unter dem Namen "Alpstubli" das erste Gasthaus errichtet, um die nach dem Ausbau des schmalen Weges vermehrt in den späteren Luftkurort gelangenden Touristen verpflegen zu können. Als ab 1880 in der betuchten Gesellschaft Molkekuren in Mode kamen, entstanden bald einmal weitere Beherbungsbetriebe und die Zahl der Gäste, zu der damaligen Zeit hauptsächlich aus England, Frankreich und Russland, stieg schnell an.

Um den gern gesehenen Reisenden die anstrengende Anreise angenehmer zu gestalten, eröffnete man im Jahr 1933 eine Standseilbahn. Während die Bergstation ihren Platz am äusseren Dorfrand fand, kam die Talstation einige Kilometer oberhalb von Schwyz im engen Taleinschnitt bei Schlattli zu liegen. Die mechanischen Teile lieferte die Firma Bell in Kriens, die Elektrik stammte von BBC und der 150 PS starke Antriebsmotor von der Maschinenfabrik Oerlikon. Mit einer Neigung von 78 Porzent gehörte die Anlage von Anfang an zu den steilsten der Schweiz. Pro Stunde konnten mit ihr 425 Passagiere transportiert werden.

Die Touristen lernten die bequeme Aufstiegshilfe schnell zu schätzen. Die Besucherzahlen entwickelten sich fortan sehr erfreulich, nicht zuletzt durch die ab 1939 errichteten Skilifte zum Klingen-, sowie zum Fronalpstock. Aufgrund der gestiegenen Nachfrage, aber auch weil der Zahn der Zeit an der Seilbahn genagt hatte, ersetzte man sie 1970 durch einen Neubau der Firma von Roll. Auch die imposante Brücke welche bei der Talstation die Schlucht überspannt, wurde erneuert. Mit der neuen Bahn und dem nun 500 PS leistenden Antrieb konnten nun pro Fahrt statt bisher 80 Fahrgäste pro Fahrt neu deren 100 befördert werden. Die beiden talseitigen Güterwagen wurden für eine Last von bis zu acht Tonnen ausgelegt. Zusätzlich verringerte sich die Fahrzeit um die Hälfte auf nur noch fünf Minuten, womit bei einer Fahrgeschwindigkeit von bis zu fünf Metern pro Sekunde eine Förderleistung von 1000 Personen pro Stunde erreicht werden konnte. Im Normalbetrieb ohne grossen Andrang verkehrt man allerdings üblicherweise mit reduzierter Geschwindigkeit. Die Fahrzeit liegt dann bei 7,5 Minuten.

Die Standseilbahn stellt sowohl im Sommer als auch im Winter die Hauptverbindung auf den Stoos dar. Ergänzt wird sie seit 1981 durch eine Luftseilbahn von Morschach, mit welcher sich Ausflüglern seither eine schöne Rundreise ermöglicht. Die schmale Zufahrtstrasse welche ebenfalls auf den Stoos führt, ist für den motorisierten Verkehr gesperrt. Sie darf nur mit einer Ausnahmebewilligung befahren werden, wodurch die Bahn sowohl Touristen, als aber auch für die Bewohner des kleinen Dorfes das einzige Transportmittel ist.

Weil sich in den letzten Jahre gezeigt hat dass auch die bisherige Seilbahn langsam erneuerungsbedürftig ist, entstanden Pläne für eine alternative Erschliessung des Hochplateaus. Eine Sanierung schied aus, weil die Anpassung an geltende Vorschriften, darunter beispielsweise die Erhöhung der bisherigen Spurweite von 800 Millimetern auf die übliche Meterspur, finanziell im Bereich eines Neubaus zu stehen gekommen wäre. Erste Ideen sahen eine 3S-Luftseilbahn vor, welche auf ähnlicher Achse wie die Standseilbahn verkehren sollte. Das bereits weit fortgeschrittene Projekt wurde jedoch aufgrund der unzureichenden Windstabilität, im Kanton Schwyz mit oftmals sehr starken Föhnstürmen ein wichtiger Faktor, aufgegeben. Stattdessen entschied man sich beim System einer Standseilbahn zu bleiben, jedoch eine neue Anlage auf geänderter Strecke zu bauen. Die Talstation wurde weiter taleinwärts versetzt, wo mehr Platz für Parkflächen zur Verfügung steht als dies am bisherigen Standort der Fall war. Die neue Seilbahn wird mit einer Neigung von 110 Prozent die steilste Standseilbahn der Welt mit zwei Wagen sein. Übertroffen wird sie nur durch eine lediglich touristisch genutzte Windenbahn in Australien, die ein maximales Gefälle von 135 Prozent aufweist und hinunter in eine Schlucht führt. Bedingt durch die starken Neigungsunterschiede besteht der Wagen der neuen Bahn aus einzelnen Fahrgastzellen, welche beweglich gelagert sind und so den Reisenden immer einen ebenen Stand ermöglichen. Eröffnet werden soll die neue Anlage im Jahr 2016. Bis dahin stellt weiterhin die zuverlässige Seilbahn aus dem Jahr 1970 die Verbindung auf den Stoos sicher - tagein, tagaus.


Link zum Datenblatt:

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BildDie Talstation liegt einige Kilometer oberhalb Schwyz in einem engen Taleinschnitt. Dementsprechend beengt sind die Platzverhältnisse.

BildWagen 2 in der Talstation. Die fünf Abteile sind stufenartig angeordnet und bieten dadurch während der Fahrt einen Panoramablick.

BildFür die Anlieferung von Waren steht eine grosszügige Halle mit Kran zur Verfügung. Recht im Bild ist die Verladeanlage für Schüttgut zu erkennen.

BildDirekt an die Talstation schliesst die grosse Brücke über die Schlucht an.

BildDas Bedienterminal im Wagen.

BildEin Wagen verschwindet im Steilhang oberhalb Schlattli im Wald.

BildGleiche Position, anderer Fotografenstandort. Unterhalb des ersten Tunnels nimmt die Neigung stark zu.

BildDie Ausweiche liegt in unwegsamen Gelände zwischen den beiden Tunneln im Wald.

BildEinfahrt in den zweiten Tunnel.

BildEin Wagen hat in Kürze den Stoos erreicht. Im letzten Streckenstück wird die maximale Neigung von 78 Prozent erreicht.

BildDie Umlenkscheiben zum Antrieb in der Bergstation.

BildDas Innenleben der Bergstation mit den Zugängen zu den fünf Abteilen.

BildDie Bergstation liegt am Dorfrand. Die Station der neuen Bahn wird zentraler im Dorfkern liegen.
Zuletzt geändert von migi am Di, 13.10.2015, 16:20, insgesamt 3-mal geändert.
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Schöditaz
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Re: 100-ST Schlattli - Stoos

Beitrag von Schöditaz »

Vielen Dank für deine -wie immer- interessante Reportage!

Bin gespannt, wann dann die neue Standseilbahn kommt. Die haben ja offenbar immer wieder Verzögerungen. Ist aber auch nicht verwunderlich angesichts dieses Geländes, wo sie die neue Trassee hinbauen.
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